Reiselogbuch - 2023 Atlantisches Kanada


22. Juni 2023

Hallo zusammen und willkommen zum Reiselogbuch Atlantisches Kanada 2023. Mein diesjähriges Sommerabenteuer hat begonnen. Eigentlich hatte ich für heute gar kein Logbuch geplant, aber während die Boeing 787-10, in der ich sitze, in 38.000 Fuß Höhe gemütlich in Richtung Toronto cruist, habe ich Lust und Zeit, ein paar einleitende Zeilen zu schreiben.
Meine diesjährige Kanada-Reise ist in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes. Zum ersten ist es die längste Reise, die ich je gemacht habe, abgesehen von meinem Jahr in USA. Irgendwie kam bei der Reiseplanung immer noch hier und da ein Stopp und ne zusätzliche Nacht dazu, und jetzt sollen es am Ende über vier Wochen sein.
Zweitens ist die Tour noch ein Teil dessen, was über Corona an Reisen ausgefallen ist. Die diesjährige Reise hätte eigentlich im Sommer 2021 stattfinden sollen, aber damals hat Kanada die Grenzen nicht rechtzeitig geöffnet und so bin ich Norwegen gelandet. Was ja auch nicht das Schlechteste war und im Rückblick sogar ein Segen. Aus Kanada wäre ich nach der Flut nicht so schnell wieder zu Hause gewesen um meine Family zu unterstützen.
Die dritte Besonderheit: ich werde auf dieser Tour vielfach auf meinen eigenen Spuren wandeln, denn viele Stationen habe ich im Sommer 1991 schon einmal besucht. Damals war ich mit Oma Käte hier unterwegs, auf der insgesamt erst zweiten Mietwagenreise meines Lebens, im zarten Alter von 22 Jahren... in einer Zeit ohne Internet, ohne Google Maps, ohne booking.com, ohne Airline-Apps, ohne Online-Checkin und vor allem ohne digitale Fotografie... man kann es sich kaum noch vorstellen. Früher war echt nicht alles besser. Jedenfalls habe ich mir gedacht, dass es sich unter all diesen veränderten Umständen lohnt, diese Gegend noch einmal ausführlich zu bereisen. Ich freue mich, dass Ihr mit dabei seid.
Heute stand Fliegen auf dem Programm. Ich bin mal wieder mit KLM unterwegs... auf Vielflieger-Meilen. Manchmal muss man die auch ausgeben und nicht nur sammeln. Die Reise begann allerdings ein bisschen holperig. Ich bin mit dem BMW nach D'dorf gefahren. Der wartet dort jetzt vier Wochen auf mich. Dann sollte es mit dem Flieger nach Amsterdam gehen. Mit über einer Stunde Verspätung sind wir gestartet, weil erst noch ein technisches Problem behoben werden musste, dann noch zwei Passagiere fehlten und wir dadurch unseren Slot, das Zeitfenster zum Starten, knapp verpasst haben. Leider konnte die Flugsicherung den nächsten Slot für uns erst eine gute halbe Stunde später einrichten. Ich glaube ich war einer der ganz wenigen entspannten Menschen an Bord. Ich hatte nämlich in Amsterdam über vier Stunden Aufenthalt, die so auf drei Stunden schrumpften. Die Zeit habe ich schön mit Spotten am Ende des Flugsteigs G verbracht. Trotz meiner unzähligen Besuche in Schiphol war ich hier noch nie gewesen.
Die 787-10 ist ein feines Gerät, aber zu diesem Urteil trägt bestimmt auch die Tatsache bei, dass KLM mir großzügig ein kostenloses Upgrade auf Premium Economy spendiert hat. Viele Jahre hatte ich auf meinen ersten Flug mit einer 787 gewartet und dann ging es im letzten dreiviertel Jahr ganz flott. Mit dem heutigen Tag habe ich in jedem Modell der 787 schon einmal gesessen.
Unter uns breitet sich gerade die Weite der Provinz Ontario aus,während wir uns im Sinkflug auf den Flughafen von Kanadas größter Stadt befinden. Heute übernachte ich hier in einem Flughafenhotel, denn es geht erst morgen weiter zum Ausgangspunkt meiner Rundreise.
Als Bild des Tages gibt es einen Blick aus dem Flieger-Fenster.


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23. Juni 2023

Ich bin in St. John's, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Newfoundland and Labrador. Mein Quartier liegt in der Water Street und hier steppt der Bär. Die Water Street wird nämlich - wie mir die freundliche Mitarbeiterin im Bar/Restaurant, das zu meinem Hotel gehört, mitteilte - im Sommer zur Fußgängerzone und Partymeile. Musik und Außengastronomie sorgen für Stimmung. Bin mal sehr gespannt, wie lange das heute Abend geht. Andererseits bin ich müde genug um wahrscheinlich trotzdem zu schlafen.
Auch der heutige Tag begann holperig, denn als ich nach einer von der Zeitverschiebung etwas durcheinander gebrachten Nacht um 9 Uhr heute morgen unter die Dusche steigen wollte, gab es kein Wasser. In nem Entwicklungsland wäre das jetzt nichts ungewöhnliches, aber im Doubletree by Hilton Toronto Airport hatte ich damit nicht gerechnet. Folglich bin ich also ungeduscht um kurz vor halb elf in den Flughafen-Shuttle gestiegen. An der Rezeption wurden mir zwar 50Can$ (35€) Preisnachlass versprochen, aber auf der zugemailten Rechnung stand das nicht drauf. Da werde ich wohl mal dicke Ärmchen machen, wenn ich wieder dort bin. Meine letzten beiden Nächte vor dem Heimflug habe ich nämlich im gleichen Hotel. Eigentlich ein sehr schönes Hotel, aber ohne Wasser eher ungünstig.
Die Gepäckaufgabe für meinen Flug nach St.John's ging problemlos. WestJet verwendet Gepäckabfertigungsautomaten, wie ich sie auch schon aus Norwegen und Schweden kannte. Man druckt die Gepäckanhänger selber aus und klebt sie an Koffer und Taschen.
Die Wartezeit habe ich mir mit Flieger kucken und fotografieren vertrieben und konnte dabei auch zwei Exemplare der Boeing 737MAX-8 in den Farben von WestJet auf die Speicherkarte bannen. Die 787-10 von gestern ist nämlich nicht der einzige neue Flieger auf dieser Reise. Auch die 737MAX-8 ist neu auf meiner Liste.
Kurz vor dem Einsteigen fing es in Toronto an zu regnen und so sind wir von einer nassen Piste gestartet. Die 737MAX-8 ist ein gutes Gerät. Man sitzt bequem in der Ausstattungsvariante von WestJet. Nicht ganz unwichtig heute, denn der Flug von Toronto nach St.John's dauert fast drei Stunden. Anders ausgedrückt: von Amsterdam aus wäre man in viereinhalb Stunden in St.John's, wenn, ja wenn es denn Flüge gäbe. Wie die Dinge allerdings stehen, ist Newfoundland immer noch etwas ab vom Schuss. Bei meinem ersten Besuch vor 32 Jahren sind die Oma und ich auch nicht nach St.John's sondern nach Halifax geflogen und dann mit dem Mietwagen und dem Schiff nach Newfoundland gereist. Das wollte ich dieses Mal anders machen, denn St.John's hat nen ziemlich coolen Flughafen. Der Airport liegt auf einem Hochplateau oberhalb der Stadt und je nachdem, wie der Wind weht, hat man nen spektakulären Blick auf St.John's und den Hafen. Leider war es heute sehr diesig (durch die ganzen Waldbrände auf dem Festland).
Der kräftige Wind machte den Anflug ziemlich unruhig, aber der WestJet-Captain hat trotzdem ne souveräne Landung abgeliefert. Das habe ich ihm auch beim Aussteigen gesagt, und wir haben dann noch kurz ein bisschen erzählt.
Der Flughafen von St.John's ist klein und der Betrieb hält sich in Grenzen. Während das Gepäck noch ausgeladen wurde, hatte ich schon alles mit der Mietwagenfirma geregelt, so dass ich sofort los konnte, nachdem der Sammy und die Union Bay-Tasche auf dem Gepäckband erschienen waren.
Ich habe einen weißen Toyota Corolla. Ziemlich schick. Bin mal gespannt was er kann. Wir haben jetzt rund drei Wochen zusammen.
Bei der Fahrt in die Stadt kamen Erinnerungen an 1991 hoch. Die Landschaft hier im äußersten Osten Newfoundlands ist nordisch herb. Kurzgewachsene Bäume und Felsen.
Das Stadtbild von St.John’s ist eine Mischung aus norwegisch und nordenglisch. Viele schöne alte Holzhäuser, aber auch Hafen und Industrie, ähnlich wie in Tromsø. St.John’s ist allerdings mit rund 110.000 Einwohnern fast 50% größer als Tromsø. In St.John’s gibt es die einzige Universität der Provinz, aber von großstädtischem Flair kann man hier nicht wirklich sprechen.
Zum Abendessen war ich hier im zum Hotel gehörenden Restaurant. Sehr lecker. Morgen werde ich mir die Stadt und die Umgebung ankucken. Als Bild des Tages gibt es heute einen Blick auf Hafen und Stadtzentrum von St.John’s. Nicht die beste Qualität in der diesigen Luft, aber man bekommt ein bisschen nen Eindruck von der Lage der Stadt.
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25. Juni 2023

Es passiert mir nicht mehr so oft, dass mich ein Reiseerlebnis zu spontanen Begeisterungsausbrüchen verleitet, aber als ich heute nachmittag kurz vor dem heutigen Etappenziel über eine Hügelkuppe fuhr und die Eisberge in der Bucht liegen sah, entfuhr mir doch ein lautes „Boah, Krass!“ Nur ein paar Sekunden später habe ich das zweite Bild des Tages gemacht. Immer wenn man denkt, man hat eigentlich alles gesehen, dann wird man um so schöner überrascht.
Ich bin in Twillingate, einem kleinen Ort an der Nordostküste von Newfoundland. Der Ort ist für die Eisberge bekannt, aber dass die hier einfach in den Buchten rumdümpeln, das hatte ich, wie erwähnt, nicht erwartet. Dabei war ich zum Eisberge kucken hier hergekommen. Morgen früh gibt es eine Eisberg- und Whalewatching-Tour.
Um kurz vor neun heute morgen habe ich mein cooles Quartier in St.John’s verlassen, denn heute war einiges an Strecke zu bewältigen. Rund 480km mehr standen am Ende des Tages auf dem Kilometerzähler des Corollas. Die Strecke könnt Ihr auf der Karte nachvollziehen. Ich habe den Ausschnitt mal ein bisschen größer gewählt, damit Ihr einen besseren Überblick über die Insel bekommt. Newfoundland (ausgesprochen NJU-fundländ), von den Einheimischem liebevoll „The Rock“ – der Felsen – genannt, ist mit 108.000km² knapp ein Drittel so groß wie Deutschland. Allerdings leben hier nur ungefähr eine halbe Million Menschen. Viel Land und wenig Leute also. Das merkt man deutlich, wenn man hier unterwegs ist. Die Avalon-Halbinsel, auf der auch St.John’s liegt, ist noch am dichtesten besiedelt. Danach kommt oft lange nichts zwischen den Dörfern.
Die Fahrt heute führte von St.John’s bis Gander über den Trans-Canada Highway. Der zieht sich durch das ganze Land von Victoria, British Columbia, am Pazifik bis St.John’s am Atlantik, fast 7500km insgesamt. Auf der Karte sieht man, dass der Trans-Canada Highway quer über die ganze Insel führt, bis nach Port-aux-Basques. Den größten Teil davon werde ich auf dieser Reise befahren.
Die Landschaft hier im Osten Neufundlands ist schwer zu beschreiben. Ich habe mich an Norwegen erinnert gefühlt und an das kanadische Nordwest-Territorium. Aber irgendwie dann auch wieder nicht. Es ist hier halt typisch neufundländisch. Den ersten Teil der Strecke ungefähr bis Clarenville ist das Land wellig, mit Tundra oder krüppeligen Nadelwäldern bewachsen, dazu viele Seen, Teiche und Sümpfe. Danach wird es etwas bergiger, aber jetzt nicht Hochgebirge wie die Rockies. Eher felsige oder bewaldete Hügel. Hier befindet sich der Terra Nova-Nationalpark, meine erste Station des Tages. Meine einzige Erinnerung von 1991 an den Terra Nova-Nationalpark war, dass wir ohne anhalten durchgefahren sind, weil es so geregnet hat. Was soll ich sagen? Viel hat sich hier nicht geändert in den letzten 32 Jahren. Ich war gerade auf einem der Hügel mit Aussichtspunkt angekommen, als es anfing zu fiseln. Als ich am Visitor Center vorfuhr, war es schon Regen, und der hat dann den Rest des Tages nur die Intensität gewechselt und hat erst nach meiner Ankunft in Twillingate aufgehört.
Vom Terra Nova-Nationalpark ging die Fahrt weiter nach Gander. Hier habe ich ein paar Vorräte eingekauft und dann bin ich zum Flughafen gefahren. Leider war das Wetter suboptimal, so dass ich keine internet-tauglichen Außenaufnahmen machen konnte.
Der Flughafen von Gander ist was Besonderes. Am 16. September 1945 landete hier der erste Testflug für eine Atlantiküberquerung im Passagierverkehr. Die DC-4 der PanAm flog dann nach Shannon in Irland weiter und damit begann der transatlantische Flugverkehr in Etappen. Da die Flugzeuge der damaligen Zeit nicht genügend Reichweite für Nonstop-Flüge über den Großen Teich hatten, mussten sie zwischendurch auftanken. Die meisten Airlines taten das in Shannon und in Gander. Sogar Fluggesellschaften aus dem Ostblock tankten in Gander auf, wenn sie unterwegs nach Havanna waren. Den Spitznamen „Crossroads of the world“ hatte sich Gander in dieser Zeit des beginnenden Transatlantikverkehrs also wirklich verdient. Erst das Aufkommen von strahlgetriebenen Flugzeugen mit größerer Reichweite, wie der Boeing 707 und der DC-8 Anfang der 1960er Jahre machte Tankstopps in Gander weitgehend überflüssig, und der Flughafen fiel in einen immer noch andauernden Dornröschenschlaf. Es gibt jeden Tag ein paar innerkanadische Flüge und ab und zu mal eine außerplanmäßige Landung eines Transatlantikfliegers, aber das war’s dann auch schon.
Als ambitionierter Plane Spotter konnte ich an diesem „heiligen Boden“ natürlich nicht einfach so vorbeifahren. Umso größer war meine Freude, dass man mit der eigenen Luftfahrtgeschichte in Gander sehr gut umgeht. Die ehemalige International Departure Lounge ist im Stil der 1950er Jahre erhalten und auf dem verglasten Beobachtungsdeck gibt es eine Ausstellung über die guten Zeiten der Luftverkehrs in Gander. Sogar für passende Musik ist gesorgt: Frank Sinatra erklingt aus den Lautsprechern. Sehr lustig, und super gemacht. Da ist es geradezu selbstverständlich, dass die Gander International Lounge das erste Bild des Tages bekommen hat.
Vor der Weiterfahrt habe ich noch eine kurzen Stopp am Silent Witness Memorial eingelegt, das an einen der schwarzen Tage in der Luftfahrtgeschichte von Gander erinnert, den Absturz von Arrow Air Flug 1285 am 12. Dezember 1985, bei dem 256 Menschen ums Leben kamen und der immer noch das schlimmste Flugzeugunglück in Kanada ist.
Die weitere Strecke nach Twillingate führte von Gander aus, wo ich noch den Corolla getankt hatte, nach Norden, auf schlaglochnarbigen Straßen und im Regen. Eindrucksvoll war es trotzdem. Die Nordostküste Neufundlands besteht hier aus unzähligen Inseln und Schären, die mit Dämmen und Brücken miteinander verbunden sind, und wohin sich die Eisberge zum Sterben zurückziehen. Durch das Eis und das kalte Meer ist es hier auch deutlich kälter. Klar, der Regen hat auch dazu beigetragen, aber der Unterschied zwischen 26 Grad gestern in St.John’s und 6 Grad hier in Twillingate ist schon krass.
Ich wohne hier sehr schön in einem kleinen Ferienapartment. Ich musste allerdings die Heizung anmachen… *lach….


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24. Juni 2023

Heute morgen habe ich es gemütlich angehen lassen. Wecken um 9 und um kurz nach halb zehn startete das Programm. Vorher gab es aber nen Cappuccino von Tim Hortons. Es wird nicht der letzte sein, denn diese Fast Food- bzw. Kaffeebuden-Kette ist eine nationale Institution in Kanada. Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere ja an meine Anmerkungen zu Tim Hortons aus den Reiselogbüchern zu Quebec 2017 oder zu West-Kanada 2019.
Erster Programmpunkt heute war der Signal Hill, die Hauptsehenswürdigkeit von St.John's. Der Signal Hill krönt die Felsen an der Nordseite der Hafeneinfahrt von St.John's. In den letzten 350 Jahren hatte dieses Gebiet viele Funktionen. Fort, Signalstation, Wachtposten, Kaserne. 1762 fand auf dem Signal Hill die letzte Schlacht des Siebenjährigen Krieges in Nordamerika statt. Dabei verloren die Franzosen Newfoundland endgültig an Großbritannien. Im Jahr 1901 fing der italienische Funkpionier und spätere Physik-Nobelpreisträger Guglielmo Marconi auf dem Signal Hill die ersten transatlantischen Funksignale auf, die seine Sendestation in Wales losgeschickt hatte.
Auf dem Signal Hill steht heute der Cabot Tower aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Das war die letzte Signalwärter-Station hier. Das ganze Gebiet des Signal Hill ist mittlerweile eine National Historic Site.
Ich war etwas zu früh hier, denn das Visitor Center macht erst um 10 auf. So bin ich auf einen der Hügel spaziert und habe das Panorama mit Blick auf den Hafen von St.John's genossen. Sieht man im ersten Bild des Tages. Die Hafeneinfahrt zwischen zwei Felsen befindet sich links außerhalb des Bildes. Ihr könnt Euch bestimmt vorstellen, dass ich mich nicht so wirklich gut losreißen konnte von dieser Aussicht, noch dazu bei diesem Kaiserwetter. (Ab morgen soll es übrigens regnen.)
Im Visitor Center habe ich versucht, einen Nationalparkspass zu kaufen, aber leider hatten die Rangerinnen an der Kasse keine Plaketten mehr. Nach einem schönen Film über die Geschichte des Signal Hill bin ich hoch zum Cabot Tower gefahren. Auch hier gab es atemberaubende Aussichten auf den Hafen und die Stadt, auf die Hafeneinfahrt und auf den dunkelblauen Nordatlantik, der aussah als könnte er niemandem etwas zu leide tun. Glatt wie ein Tisch.
Das Spektakel der Noon Gun ist mir allerdings leider nicht geboten worden. Über Jahrhunderte wurde immer um Punkt 12 Uhr mittags auf dem Signal Hill eine Kanone abgefeuert, damit die Schiffe ihre Uhren justieren konnten. Heutzutage macht man das nur noch im Sommer für die Touristen, zwischen dem 1. Juli und dem 30. September. Ich bin halt in der Vorsaison hier.
Zweiter Programmpunkt heute war ein Besuch am Cape Spear, dem östlichsten Punkt des nordamerikanischen Kontinents. Vom Signal Hill ist das ne gute halbe Stunde Fahrt. Am Eingang konnte ich problemlos den Nationalparkspass erstehen, wobei mir der Eintritt vom Signal Hill gutgeschrieben wurde.
Am Cape Spear befindet sich noch der historische Leuchtturm aus dem Jahr 1835. Innen drin sind die Räume im Zustand des 19. Jahrhunderts wieder hergerichtet worden und geben einen kleinen Einblick in das Leben einer Leuchtturmwärterfamilie. An nem Tag wie heute war das kein schlechtes Leben, aber das Wetter in Newfoundland kann auch anders. Eis und Schnee sind im Winter keine Seltenheit und der Wind erreicht hier oft Orkanstärke. Am Flughafen von St.John's werden immer wieder Windgeschwindigkeiten im Bereich von 140km/h gemessen, und an der Küste ist das wahrscheinlich noch mehr. 1955 wurde etwas unterhalb des historischen ein neuer Leuchtturm gebaut. Den seht Ihr im zweiten Bild des Tages unter weiß-blauem Himmel und mit dem braven Atlantik im Hintergrund. Das eigentliche Cape Spear befindet sich hinter dem Leuchtturm, nur ein paar Felsen, die ins Meer hinaus laufen.
Während ich oben auf den Klippen am Cape Spear entlang spazierte, trug der Wind von unten ein bekannt klingendes Geräusch herauf. Ich hatte mich nicht verhört. Unten schwammen zwei Buckelwale vorbei. Da habe ich das erste Whalewatching schon von Land aus gemacht... *lach...
Ich muss sagen, es gefällt mir super in St.John’s, und das deckt sich auch mit meinen Erinnerungen von 1991. Ich habe allerdings einen schwerwiegenden Fehler gemacht. Ich habe hier nur einen Tag eingeplant. Ich hätte hier locker noch nen zweiten Tag verbringen können. Morgen früh beginnt aber die Rundreise. Auf dem Rückweg werde ich allerdings nochmal insgesamt zwei Übernachtungen hier ins St.John’s haben, und auch ein paar Stunden um noch ein bisschen Sightseeing zu machen.
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26. Juni 2023

Der Tag heute stand fast ganz im Zeichen des Eises. Eisberge sind eine der Hauptattraktionen hier in Twillingate und auch der Hauptgrund, warum ich hier bin. Ich muss gestehen, dass ich bis heute keine genaue Vorstellung davon hatte, was mich hier erwarten würde. Ich hatte im Lonely Planet davon gelesen und hab mir gedacht, dass man sich das ja mal ankucken kann. Jetzt sitze ich hier, schreibe Logbuch und bin noch ganz geflasht vom Tag.
Ich glaube ich muss mal ein bisschen weiter ausholen zum Thema Eisberge. Ich habe dazu heute total viel gelernt. Eisberge entstehen, wenn sich das Eis eines Gletschers in ein Gewässer schiebt und dann abbricht. Da gefrorenes Wasser eine geringere Dichte als flüssiges Wasser hat, schwimmt der abgebrochene Eisberg an der Oberfläche, aber nur so gerade. Fast 90% der Masse eines Eisbergs befindet sich unter der Wasseroberfläche, nur etwas mehr als 10% ragt darüber, quasi die Spitze des Eisbergs. Wenn man mit dem Boot um so einen Eisberg herumfährt, dann kann man im klaren Wasser erkennen, wie weit sich der Eisberg unter Wasser noch ausdehnt. Im ersten Bild des Tages sieht man das ein bisschen.
Hier an der Nordostküste Neufundlands sind die Bedingungen ideal, um Eisberge zu sehen. Der Labrador-Strom, eine kalte Meeresströmung, die sich aus der Arktis kommend zwischen Grönland und Kanada in Richtung Süden bewegt, trägt die an der Westküste Grönlands abgebrochenen Eisberge bis Neufundland. Spätestens bei der Umrundung der Ostküste Neufundlands treffen die Eisberge auf warmes Wasser und wärmere Luft und schmelzen. Die Reise der Eisberge von Grönland bis nach Neufundland wird von der Strömung und vom Wind beeinflusst und dauert im Schnitt drei Jahre. Die Eisberge, die ich heute gesehen habe, haben sich also im Frühjahr 2020 auf den Weg gemacht… als der Rest der Welt das Reisen weitgehend eingestellt hat.
Um halb zehn heute morgen war ich am Anleger von Twillingate Adventure Tours. Wir haben eine kurze Einweisung bekommen und dann wurden wir in die Schutzanzüge gesteckt, wie man immer wenn man in kalten Gewässern mit einem Zodiac unterwegs ist. Ich kenne das Prozedere inzwischen zur Genüge, wobei ich sagen muss, dass die Anzüge von Twillingate Adventure Tours die besten waren, in die ich bisher rein musste. Es gab nämlich einen Durchgriff an der Hose, so dass man noch an die eigenen Taschen rankam. Sehr praktisch beim Verstauen des Equipments wie Kamera-Akkus, Reisekaugummis etc. Wobei ich das Superpep immer schon beim Einsteigen einwerfe, damit ich auf jeden Fall keine Probleme bekomme. In der Bucht von Twillingate war das Wasser zwar komplett ruhig, aber es sollte auch raus auf den Atlantik gehen.
Die ersten Eisberge haben wir schon in der Bucht, quasi im Hafen von Twillingate besucht. Die dicken Eisberge laufen hier im flacher werdenden Wasser auf Grund, wenn der Wind sie in die Bucht treibt. Einen so festsitzenden Eisberg erkennt man unter anderem daran, dass er sich nicht mit dem Wasser bewegt, und dass das Wasser ihn an der Wasseroberfläche unterspült. Man kann das im ersten Bild des Tages sehen. So wie die Eisberge vor sich hinschmelzen, brechen sie dann irgendwann auseinander und die Stücke treiben wieder im Wasser. Diese kleineren Eisbrocken – kleiner ist relativ, denn die sind oft immer noch so groß wie ein LKW – nennt man „Growler“, und sie gelten bei den Fischern als besonders gefährlich.
Eine der ersten Fragen, die der Crew unseres Schlauchboots gestellt wurde, war, ob man auf nen Eisberg draufklettern kann. „Viel zu gefährlich“, war die Antwort, denn Eisberge sind sehr instabil, können jederzeit ohne Vorwarnung auseinanderbrechen, rollen oder sich drehen. Deshalb müssen auch die Tourboote einen Sicherheitsabstand halten.
Insgesamt gut anderthalb Stunden sind wir unterwegs gewesen, und die ungefähre Strecke könnt Ihr an der roten Linie auf der Karte nachvollziehen. Leider war das Wetter zu diesem Zeitpunkt noch nicht optimal. Nebelfelder lagen über der Gegend, aber das gibt den Bildern eine ganz eigene Stimmung.
Eine so nahe Begegnung mit einem Eisberg ist echt was besonderes. Wenn man die nur so auf die Entfernung sieht, ist es halt Eis. Aber wenn man näher dran ist, dann entdeckt man total viele Details: Strukturen, die durch das Schmelzen oder Abbrechen entstanden sind, kleine Bäche und Wasserfälle von Tauwasser, Adern von klarem Eis, das schon vor tausenden von Jahren in Spalten des Gletschers gefroren ist und das jetzt dunkelblau schillert… Jeder Eisberg ist wie ein individuelle Kunstwerk, das darüber hinaus sich ständig verändert und vergänglich ist. Auf Bildern kann man das nicht gut einfangen, erst recht nicht, wenn die Sonne nicht scheint und es daher keine Schatten gibt.
Der Skipper und sein Gehilfe wussten viel zu erzählen. So bin ich unter anderem Gewahr geworden, dass das Eis der Eisberge hier zwischen 10.000 und 12.000 Jahre alt ist. Die weiße Farbe kommt von eingeschlossenen Luftbläschen, und deswegen macht schmelzendes Eisbergeis auch ein rauschendes Geräusch, wenn die eingeschlossene, 10.000 Jahre alte Luft freigesetzt wird. Besonders eindrucksvoll haben wir das an dem großen Eisberg erlebt, der am Eingang der Bucht von Twillingate auf Grund gelaufen ist. Hier entstand das zweite Bild des Tages und die Eisbrocken im Wasser gaben ein deutlich fauchendes Geräusch ab. Einen der Brocken hat der Bootsmann mit einem Kescher aus dem Wasser gefischt und am Ende der Tour haben wir jeder einen Beutel mit Eisbergeis geschenkt bekommen. Ich habe mir daher im Dollar-Shop ne fest verschließbare Plastikflasche gekauft, denn ich will versuchen, das 10.000 Jahre alte Wasser mit nach Hause zu nehmen. Nur ein kleines Stück habe ich in den Drink geschmissen, den ich heute Abend zum Sundowner auf dem Deck meines Quartiers eingenommen habe. Das Eisbergeis kann man dafür problemlos verwenden. Schadstoffe gibt es darin keine.
Wieder an Land bin ich in dem Restaurant neben der Anlegestelle zum Mittagessen eingekehrt. Anschließend habe ich im Supermarkt ein bisschen Brot, Käse und Hummus gekauft für einen Abendimbiss und dann gab’s ne kleine Siesta im Quartier.
Am Nachmittag bin ich ein bisschen hier über die Insel gefahren. Es gab sehr schöne Ansichten von Eisbergen von Land aus und tolle Blicke auf die Landschaft, denn inzwischen hatte sich die Sonne komplett gegen den Nebel durchgesetzt. Vor allem am Leuchtturm von Long Point, hoch oben auf den Klippen hatte man einen tollen Blick auf den Nordatlantik. Apropos „Nord“… bei den ganzen Eisbergen könnte man denken, dass ich mich hier sehr weit nördlich befinde. Dabei liegt Newfoundland bis auf die letzten 50km des nördlichsten Zipfels südlicher als Euskirchen. Dass es hier Eisberge gibt ist also vor allem dem Labrador-Strom geschuldet. Dieses Jahr ist übrigens ein sehr gutes Jahr für Eisberge, erzählte der Bootsmann. Letztes Jahr gab es die ganze Saison über genau einen und vorletztes Jahr keinen.
Ihr merkt, der Abstecher nach Twillingate hat sich komplett gelohnt. Ich habe einige ganz neue Erfahrungen und Erlebnisse gemacht und ich kann es auf jeden Fall weiterempfehlen.
Morgen ist ein Fahrtag. Es geht weiter an die Westküste von Newfoundland. Bin mal gespannt, was ich morgen abend berichten kann.

P.S. Wale haben wir keine gesehen, aber die hab ich auch nicht vermisst angesichts der ganzen Action um die Eisberge.


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