27. Juli 2012
Mein erster Tag in Odessa. Ich durfte ausschlafen, während Vetter Schorsch zur Arbeit fuhr und Madelene Simon in den Kindergarten gebracht hat. Als sie wieder zu Hause war habe ich gemütlich gefrühstückt und wir haben noch ein bisschen hier gesessen und erzählt. Gegen 12 Uhr haben wir dann Filip in den Kinderwagen gepackt und sind zu Fuß los, um Simon im Kindergarten abzuholen.
Ich muss sagen, der Filip ist echt ein tolles Baby. Immer gut gelaunt, es sei denn er hat Hunger oder seine Misserfolge beim Krabbeln üben frustrieren ihn mal wieder (wobei ich sagen muss, dass er die Sache mit sehr viel Energie und Geduld angeht). Ich hab den Kinderwagen geschoben und wir sind zuerst zu dritt, und nachher mit Simon im Buggy zu viert durch Odessa spaziert.
Erster Eindruck: die Stadt ist sehr grün. Die Mehrzahl der Straßen ist von großen alten Bäumen gesäumt, die den Blick auf die barocken Fassaden der Häuser teilweise verdecken. Der Zustand der Häuser ist allerdings durchwachsen. Man fühlt sich ein bisschen nach Ostdeutschland zwei, drei Jahre nach der Wende versetzt. An einigen Stellen sind die alten Stadthäuser schon schön renoviert, an anderen Stellen bestimmen Bauzäune das Bild, und an sehr vielen Stellen bröckeln noch Putz, Stuck und Balkone. Auch die Bürgersteige sind von holperig und löchrig bis hin zu schick neu gepflastert in jedem denkbaren Zustand. Eines ist aber sicher. Wenn die Stadt erst mal durchgehend auf Vordermann gebracht ist, dann ist sie ein echtes Schmuckstück und spätestens dann garantiert ne Städte-Reise wert.
Schon gestern bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt hab ich mir gedacht, dass ich so eine Stadt wie Odessa bisher noch nicht gesehen habe. Wie Ihr ja wisst ist es meine erste Begegnung mit Osteuropa und dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Mein Versuch mit Vergleichen zu arbeiten war schon nach ner halben Stunde gescheitert. Es erinnert weder an West- noch Südeuropa oder den Nahen Osten, und in Übersee findet sich irgendwie auch nix Vergleichbares. Wie typisch Odessa jetzt für die Ukraine ist weiß ich nicht, aber ich vermute, dass sich das in Grenzen hält. Als relativ weltoffene Hafenstadt ticken hier die Uhren bestimmt schon ein bisschen anders als im Rest des Landes. In Odessa wird übrigens überwiegend Russisch gesprochen. Beschilderungen sind in Ukrainisch und Russisch und beides kann man mit Mühe lesen, wenn man ein bisschen das griechische bzw. das kyrillische Alphabet drauf hat. Viel mehr weiß man dann aber in der Regel auch nicht und verstehen tu ich die Leute hier sowieso kein bisschen.
Die Leute, mein nächstes Stichwort. Die Odessiten wirken auf mich ziemlich entspannt und nicht so ex-ostblock-verkniffen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Der Hochsommer mag dazu beitragen, dass die Stimmung eher gelöst ist, aber ich habe mich heute bei unserem Spaziergang kein bisschen unwohl gefühlt.
Beim Thema Leute fällt mir noch was anderes ein. Wer sich ein bisschen mit Biologie auskennt, hat wahrscheinlich schon mal den Begriff Geschlechtsdimorphismus gehört. Damit bezeichnet man die äußerlichen Unterschiede zum Beispiel bei männlichen und weiblichen Vögeln. Bei Vögeln sind in der Regel ja die Männchen bunter und prächtiger gefiedert als die Weibchen. Bei den Odessiten ist es umgekehrt. Die deutliche Mehrheit der Frauen, egal welchen Alters, macht sich ganz offensichtlich viele Gedanken über ihr Erscheinungsbild und das, was sie anziehen. Der männliche Odessit begnügt sich dagegen mit Schlabbelshorts, T-Shirt oder schulterfreiem Muskelshirt und Plastikschlappen. Alternativ werden auch Flipflops getragen, wohingegen das Tragen von T- und anderen Shirts eher optional ist. Männermodemäßig scheint das hier tiefstes Missionsgebiet zu sein.
Und damit zurück zu unserem heutigen Stadtrundgang. Madelene, Simon, Filip und ich haben in der Fußgängerzone im Lieblingscafe der Eichhorns eine ausführliche Mittagspause gemacht und sind dann weiter spaziert, vorbei an der Statue von Katharina der Großen, dem oberen Ende der Potemkinschen Treppe (die von unten eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Odessa ist, aber von oben eher unspektakulär wirkt), dem Rathaus und der Oper. Um halb fünf waren wir wieder zu Hause und entsprechend platt, wobei die Jungs schon ein paar Ströphchen in ihren jeweiligen Kinderwagen geschlafen hatten. Heute abend haben wir schön gegrillt auf einem der Balkone, die zur Wohnung der Eichhorns gehören, bei 30 Grad plus X. Hier ist RICHTIG Sommer.
Morgen werden die drei großen Männer, Georg, Simon und ich, einen auf kalte Krieger machen. Ich will noch nicht zu viel verraten, aber dass Mütter, Oma und Großtante nicht vom Programm begeistert sein werden, da bin ich mir ziemlich sicher.
Als Bild des Tages gibt es heute einen Blick in die Fußgängerzone von Odessa, und nachdem ich eben viel getönt habe zum hiesigen Modenotstand ist mir beim erneuten Betrachten des Fotos aufgefallen, dass man darauf so gut wie keine Shorts oder Flipflops erkennen kann. Aber glaubt mir, es ist hier echt auffällig.
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