28. Juli 2012
Heute haben die drei größeren Jungs, die aktuell zum Eichhorn-Haushalt in Odessa gehören, einen Tagesausflug gemacht. Madelene und Filip hatten einen Mutter-Kind-Tag zu Hause und angesichts unseres Ausflugsziels wundert es nicht so sehr, dass Madelene lieber zu Hause bleiben wollte.
Georg und ich haben heute unseren militärhistorischen und wehrtechnischen Interessen gefrönt und sind mit Simon zum Strategic Missile Forces Museum in der Nähe von Permowajsk im Verwaltungsbezirk Mikolajiw gefahren. Dazu ging's erst mal nach Norden auf die Autobahn Richtung Kiev. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass mein Besuch hier eher eine Städtereise werden würde, aber heute sind wir ganz schön durch's Land gefahren – von Odessa zum Museum sind's knapp 250km – und ich habe einiges von der südwestlichen Ukraine gesehen. Die Landschaft ist eher unspektakulär. Welliges Land, wie in Teilen der USA oder im östlichen Highveld Südafrikas, mit sehr viel Landwirtschaft. Schwarzer, fruchtbarer Boden, der riesige Felder mit Mais, Sonnenblumen oder Melonen trägt. Das Getreide ist hier schon rein. Nach rund dreieinhalb Stunden Fahrt (mit Pausen) standen wir am Museum auf dem Parkplatz, haben Mittagspicknick gemacht und auf Lena gewartet, die englischsprechende Führerin, die Georg organisiert hatte. Um kurz nach zwölf kam sie und dann ging's rein ins Museum.
Das Strategic Missile Forces Museum dokumentiert ein wichtiges Kapitel im Kalten Krieg - nukleare Abschreckung. Hier in der Nähe von Permowajsk befand sich eine Siloanlage für sowjetische Interkontinentalraketen. Ab 1975 waren hier zunächst Atom-Raketen des Typs SS-19 Stiletto und ab 1989 dann SS-24 Scalpel stationiert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die ehemals sowjetischen Kernwaffen von der Ukraine nach Russland zurückgebracht. Die letzte SS-24 wurde 2001 aus Permowajsk abgezogen und dann begann man damit, die ehemaligen Raketensilos zu sprengen und deren Gelände wieder in landwirtschaftliche Nutzflächen zu verwandeln. Silobasierte Abschussrampen für Raketen bestehen normalerweise aus einem weit verstreuten Komplex mit einem Kommandozentrum und 10 bis 15km von einander entfernten Positionen der einzelnen Raketen, um die Stellungen weniger verwundbar für Angriffe zu machen. In Permowajsk ist es ein bisschen anders, denn hier befindet sich ein Abschusssilo nur wenige hundert Meter vom Kommandozentrum. Dadurch war die Anlage hier prädestiniert dafür, sie für die Nachwelt zu erhalten und öffentlich zugängig zu machen.
Unsere Tour begann erst in den Ausstellungsräumen des Museums. Man merkt schon, dass hier noch nicht viel dran getan worden ist, nicht zuletzt, weil es an Interesse seitens der Regierung in Kiev und dadurch auch an Geld fehlt. Die Beschriftungen sind auch alle in Russisch und/oder Ukrainisch. Als nächstes ging's in die Kommandozentrale. Hier saßen immer zwei Offiziere in einem Bunker, der 45m tief in die Erde reichte, und waren bereit, die Raketen zu starten, wenn der richtige Code per Telefon aus Moskau kam.
Im Sommer 2002 habe ich eine vergleichbare Anlage der Amerikaner in der Nähe von Rapid City, South Dakota, besucht. Was mir hier bei dem russischen Pendant am meisten auffiel war die eher dürftige handwerkliche Ausführung der Anlage. Die unterirdischen Korridore waren krumm und schief mit unebenen Böden und die elektrischen Leitungen lagen einfach auf Regalstangen, die in die Wände gedübelt waren. Trotzdem konnte man von hier millionenfachen Tod bis ans andere Ende der Welt schicken. Das ganze hatte schon etwas sehr Surrealistisches, besonders der Wohnbereich für die diensthabenden Soldaten in 45m Tiefe. Klappbetten, ein Klo wie in einem alten Eisenbahnwaggon, eine Kochplatte und ein Samowar. Der hat es auch zum Bild des Tages geschafft. Ein Stück totaler russischer Normalität an diesem Ort, der für das Undenkbare konstruiert war, und wo Männer nur für den einen Zweck saßen, nämlich im Ernstfall auf einen kleinen grauen Knopf zu drücken, um zehn Atomraketen mit insgesamt 100 Sprengköpfen zu starten.
Nach der Kommandozentrale hat uns Lena noch über der Erde rund geführt und die Spezial-LKWs für den Transport der Raketen, sowie die ausgestellten Panzer, Geschütze und natürlich auch Raketen gezeigt. Das Silo mit dem 120 Tonnen schweren Deckel aus Stahl und Paraffin-Wachs (genau... zum Schutz gegen radioaktive Strahlung) haben wir ebenfalls gesehen. In der Raketensammlung gab es übrigens keine SS-24. Die Russen haben alle Exemplare des zuletzt hier stationierten Raketentyps mit genommen bzw. von der Ukraine zurück bekommen.
Als wir heute morgen losgefahren sind, waren der Schorsch und ich eher von ner Stunde im Museum ausgegangen. Am Ende waren es dann aber drei. Alles echt spannend. Gegen drei Uhr sind wir dann wieder in Richtung Odessa aufgebrochen und haben dabei unsere Führerin Lena mit ins ca. 25km entfernte Permowajsk genommen. Und dann ging's auf der gleichen Strecke wieder zurück ans Schwarze Meer. Simon hat dabei die meiste Zeit im Kindersitz gepennt. Der Tag war echt anstrengend für ihn, aber er hat sich super geschickt und wurde auch von Lena sehr gelobt. Die meinte, dass sie von Kleinkindern eigentlich ganz andres gewohnt wäre
Morgen ist wieder Programm in Odessa. Am Nachmittag werden wir an einer der Stadtführungen, die das Tourismus-Büro anbietet, teilnehmen. Die haben die Eichhorns auch noch nicht gemacht.
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