6. Oktober 2023

Kyōto… die nächste japanische Stadt, die ich mir erobert habe. Weitgehend zu Fuß… meine Füße sind platt.
Mein Wecker ging schon heute morgen um acht, denn beim Einchecken gestern musste ich eine Frühstückszeit benennen und 8:20 war das späteste, was es gab. Das Frühstück war komplett im japanischen Stil, in einem kleinen Räumchen mit Schiebetür. Zum Glück musste ich aber nicht auf dem Boden sitzen. Schon interessant, was man hier zum Frühstück isst. Mit Miso-Suppe jedenfalls tut man mir um diese Uhrzeit keinen Gefallen (und auch sonst ist das eher nicht mein Fall).
Mein erster Programmpunkt heute war der Nijō-jō, der Palast und die Burg des Shōguns. Hier muss ich mal kurz in die japanische Geschichte abschweifen, auch wenn das jetzt in keinster Weise mein Spezialgebiet ist.
Ein Shōgun war ursprünglich nur ein militärischer Befehlshaber, aber im Laufe der (auf mich etwas verworren wirkenden) japanischen Geschichte gelang es immer wieder Familien aus dem Krieger-Adel (den sogenannten Samurai, vergleichbar vielleicht am ehesten mit den Rittern des europäischen Mittelalters) als Shōgun die faktische Macht über Japan (oder Teile davon) auszuüben und den Tennō, den japanischen Kaiser, auf eine zeremonielle aber de-facto machtlose Position zu beschränken. Am erfolgreichsten dabei war die Familie Tokugawa, deren Herrschaft als Shōgune von 1603 bis 1867 dauerte. Der Begründer der Dynastie, Tokugawa Ieyasu, machte das kleine Fischerdorf Edo zum Verwaltungszentrum. Daraus entstand das heutige Tokio. Da der kaiserliche Hof aber in Kyōto residierte, brauchte man als Shōgun natürlich auch hier eine Residenz. Dafür ließ Tokugawa Ieyasu ab 1603 den Nijō-jō bauen.
Im Gegensatz zu Tokio, wo man überall mit der U-Bahn hinfahren kann, gibt es hier in  Kyōto nur zwei U-Bahn-Linien und ansonsten Busse und manchmal ist man am schnellsten einfach zu Fuß. Von meinem Quartier (Kagihei) zum Nijō-jō sind es rund zwanzig Minuten zu Fuß. Kyōto ist schön im Schachbrettmuster angelegt, und so ist es kein Problem, sich zu orientieren.
Am Nijō-jō war ich nicht allein, denn der Shōgun-Palast zählt zu den ersten Sehenswürdigkeiten hier in Kyōto. Einen Teil des Palastes kann man auch von innen besichtigen, auf Socken natürlich. Hier in Japan heißt es immer wieder mal „Schuhe aus“, vor allem in Tempeln. Ich habe mir Zeit gelassen für die Besichtigung. Vor allem die Gärten sind schön, und von einem der Top-Landschaftsarchitekten aus dem frühen 17. Jahrhundert entworfen. Da hatte ich den nächsten Garten auch noch nicht gesehen.
Ich muss gestehen: zu Beginn des Tages war meine Stimmung ausbaufähig. Warum weiß ich auch nicht genau. Ich habe auf Reisen immer wieder mal solche Tage, wo ich  unzufrieden bin, ohne dass ich jetzt sagen könnte, woran das genau liegt. Jedenfalls war ich zu diesem Zeitpunkt noch eher grumpy. Vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass ich mich nicht entscheiden konnte, was ich als nächstes mache. Ich habe ein bisschen hin und her überlegt, und mich dann auf den Weg zur Bushaltestelle gemacht, um zum Ginkaku-ji zu fahren, einem buddhistischen Tempel mit dazugehöriger Gartenanlage, der ebenfalls als eine der Top-Sehenswürdigkeiten von Kyōto gepriesen wird.
Die Busfahrt dorthin war schon ein Erlebnis. Man steigt halt hinten in den Bus ein, aber wie das mit dem Ticketkauf geht, hab ich nicht kapiert. „Na toll“, hab ich gedacht, „mein erster Tag in Kyōto und schon als Schwarzfahrer unterwegs.“ Aber an der nächsten Station wurde mir dann klar, dass man nur vorne beim Fahrer aussteigen kann und dort entweder ne Bezahlkarte auf das Lesegerät legt, oder die 230¥ in bar in die Maschine wirft. Hier gibt’s im Bus nen Pauschalpreis. Egal wie weit man fährt. (Nur kurz, falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte: 100¥ sind zur Zeit ungefähr 0,65€.)
Der Ginkaku-ji ist kein besonders großer Tempel, aber wenn man einmal durch den Garten spaziert ist, dann weiß man auch warum er zu bei Besuchern von so beliebt ist und warum er heute das Bild des Tages bekommen hat. Es ist einfach so richtig schön. Ich werde langsam zum Bewunderer japanischer Gartenbaukunst.
Kyōto ist mehr noch eine Stadt der Tempel als der Paläste. Eine ganze Reihe davon befindet sich am Fuße der Hügel, die das Gebiet der Stadt im Osten begrenzen. Vom Gikanku-ji windet sich ein Fußweg diese Hügelkette entlang, der Pfad der Philosophie. Dem bin ich dann auch gefolgt, immer noch leicht grumpy und auf der Suche nach nem Kaffee für nen kleinen Pick-me-up. Was Passendes habe ich aber nicht gefunden und so habe auf ein altes Hausmittel zurückgegriffen, Kapitalistenbrause aus Atlanta. Eine typisch japanische Institution sind die Getränkeautomaten, die man an jeder Straßenecke und auch dazwischen findet. Für 180¥ gab’s ne Flasche gut gekühlte Coca-Cola – die man mit der Suica-Karte bezahlen konnte – und die Kombination aus Zucker und Koffein hob meine Stimmung dann doch deutlich.
Besser gelaunt habe ich mir den nächsten Tempel vorgenommen, den Eikan-dō. Auch dieser Tempel liegt am Fuße der Hügel. Man kann sich die Tempelräumlichkeiten in Ruhe ansehen (natürlich mal wieder auf Socken), aber das Reizvollste für mich war die Pagode, und zwar nicht als solche, sondern weil man von dort einen tollen Blick auf Kyōto hat. Ich habe ein ganzes Weilchen dort oben gesessen, das Panorama genossen und meinen Social Media-Auftritt gepflegt… *lach…
Vom Eikan-dō war es dann nicht mehr weit bis zum Nanzen-ji, einem großen Komplex von Tempeln des Zen-Buddhismus, der bis auf das Jahr 1291 zurückgeht. Auf dem Weg dahin habe ich noch einen kurzen Abstecher in einen weiteren kleinen buddhistischen Tempel gemacht. Kein Mensch da. Nur Ruhe und Weihrauchgeruch.
Als ich am Nanzen-ji ankam, war es kurz vor vier. Die Menschenmassen hatten sich schon aufgelöst und bei den paar Besuchern, die noch unterwegs waren, strahlte dieser Tempel ebenfalls eine ziemliche Ruhe aus. Ich bin noch eine halbe Stunde auf dem Gelände spazieren gegangen, habe Fotos gemacht und die Atmosphäre genossen. Dann war es Zeit für den Heimweg. Mein Kopf war durch. Wenn ich so auf die Karte kucke, finde ich, dass ich ziemlich fleißig war… *lach…
Mit dem Bus ging es zurück nach Downtown Kyōto, was angesichts der Rushhour vor dem Wochenende ein längerwieriges Unterfangen war. Aber hat geklappt, und wie Busfahren in Kyōto funktioniert, das wusste ich ja von heute morgen.
Zum Ausklang des Tages, zugegebenermaßen recht früh nach der Uhr, nämlich so gegen halb sechs, bin ich zum Abendessen eingekehrt. Bei Spring Valley Brewery, einer Craft-Brauerei direkt im Herzen von Kyōto und nur wenige Minuten von meinem Quartier entfernt. Das Essen war lecker, das Bier war gut, und ich habe direkt drei Sorten für den Export erworben. Es gab nämlich Flaschenbier und ansonsten habe ich bisher nur Dosenbier in den Läden gesehen. Wie man sich vielleicht erinnert, war im Sommer das Besorgen von Flaschen-Bier in Kanada ein größeres Unterfangen.
Morgen muss ich abermals früh aufstehen. Frühstück wieder um 8:20 Uhr. Außerdem wird morgen früh der Sammy schon auf die Reise zu meinem nächsten Hotel geschickt, damit ich ihn übermorgen bei meiner Ankunft direkt vorfinde.

P.S. Wenn sich jemand fragt, was es mit den „ō“s auf sich hat: ich versuche, mich ein bisschen an die japanische Schreibweise anzupassen. Das o mit Strich ist ein langes o. Das kann im Japanischen durchaus einen Bedeutungsunterschied ausmachen.

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