18. April 2022

Zwanzig nach acht, Ostermontagabend… Ich sitze auf der Veranda des Seagle’s Saloon, der zu meinem Hotel gehört, und überlege ob ich mich von den Insekten einschüchtern und ins Zimmer treiben lassen soll. Sind so kleine Gewittertierchen, die nicht stechen sondern eigentlich nur lästig sind. Immerhin, das hier ist „the South“ und ein paar „bugs“ muss man schon aushalten können. Die Kellnerin hat gerade mein zweites Glas „Brackish Ale“ gebracht. So heißt das lokale Bier in St. Marys, Georgia, das von der Brackish Beer Company hier gebraut wird, und das sich echt super trinken lässt. Vor allem an nem schwül-warmen Frühlingsabend hier an der Küste Süd-Georgias. Der Kontrast zu gestern abend könnte nicht größer sein. Ich hatte heute ein super Abendessen im Restaurant, das zum Hotel gehört und dann habe ich beschlossen, statt im Zimmer hier im ‚Saloon‘ das Logbuch zu schreiben. Gute Entscheidung… der erste von den Einheimischen hat mir schon erzählt, dass seine Familie irgendwann mal aus Koblenz stammte.
Was für ein Tag der Kontraste. Um halb sieben ging meine Wecker, denn ich musste zum ersten Programmpunkt rund 40 Meilen fahren und um 8:15 Uhr vor Ort sein. Im Hotel in Macclenny gab es zwei kleine Muffins, nen Becher O-Saft und nen Kaffee mit Milch zum mitnehmen und dann war ich unterwegs. Ich war nicht optimistisch als ich unter dräuenden, dunkelgrauen Wolken auf dem Weg nach Norden war, zum Okefenokee National Wildlife Refuge. Auch hier war ich vor 23 Jahren schon mal gewesen und es war damals eines der Highlights der Reise. Neben den Everglades ist Okefenokee das wichtigste Wildnisgebiet im äußersten Südosten der USA, und einer der besten Plätze um Alligatoren zu sehen. Den Besuch in Okefenokee hatte ich von langer Hand vorbereitet. Es gibt hier 90-minütige Bootsexkursionen in das riesige Sumpfgebiet und ich hatte mir schon vor Wochen einen Platz auf der Tour um 8:30 Uhr gesichert. Ich wollte schließlich nicht riskieren, keinen Platz zu haben, wenn der Andrang groß sein sollte.
Ich war daher nicht schlecht überrascht, als bei meiner Ankunft die Anlegestelle und das Büro von Okefenokee Adventures (der Tourfirma, die im Auftrag des National Fish an Wildlife Service die Bootsexkursionen betreibt) gerade erst zum Leben erwachten. Zwei Mitarbeiter waren gerade dabei, eines der Boote klar zu machen. Ich bin zum Empfang gegangen um mich anzumelden, und dort wurde mir dann offenbart, dass ich der einzige war, der die 8:30-Tour gebucht hatte. Ooooookayyyy.
Um Punkt halb neun ging’s los. Ein Boot für rund 20 Leute, mein Guide und Bootscaptain Dan… und ich. [Hier in St. Marys knattert gerade die Dorfjugend mit dem Mopped die Dorfhauptstraße rauf und runter… Ländliches Georgia…]
Dan ist aus Ohio und arbeitet nur temporär für Okefenokee Adventures. Wir hatten die Anlegestelle noch nicht hinter uns gelassen, da hatten wir schon das erste Fachgespräch über die verschiedenen Vogelbestimmungsbücher für Nordamerika und ich dachte nur „Ich bin hier in guten Händen.“
Da ich der einzige Gast an Bord war, war die Tour jetzt natürlich ziemlich auf meine Interessen zugeschnitten. Nachdem wir den ersten Alligator passiert hatten, meinte Dan nur „Ist nicht Dein erste Alligator, oder?“ Ich so „Öhm, nö…“, woraufhin er erzählte, dass natürlich die allermeisten Touris, die es nach Okefenokee verschlägt, nur wegen der Alligatoren kämen. Klar, die Panzerechsen sind auf jeden Fall eine Attraktion hier, aber für mich waren sie jetzt nicht das wichtigste. Ich hatte mehr Spaß an den Rotschulterbussarden oder den Streifenkäuzen. Mein absolutes Highlight war aber die Nordamerikanische Rohrdommel, die wir gesichtet haben, und die mich ähnlich aus dem Häuschen gebracht hat, wie im Sommer 2015 meine erste Bekassine. Rohrdommeln leben sehr versteckt und jetzt eine auf nur wenige Meter Entfernung nicht nur zu sehen, sondern sogar beim Jagen beobachten zu können, das war schon ein echter Kracher.
Dan war nicht nur ein super Birder, sondern konnte natürlich auch viel über Okefenokee, die Geschichte und die Naturgeschichte diese Gebiets erzählen. (Da ich schon eine Nachfrage per Whatsapp bekommen habe: der Name Okefenokee - gesprochen eigentlich fast genauso, wie man’s schreibt - stammt aus der Sprache der Seminolen, einem der wichtigsten Ureinwohner-Stämme hier im äußersten Südosten der USA. „oki fanôːki“ bedeutet "blubberndes Wasser". Wenn man dort ist, wird sofort klar, dass das nicht weit hergeholt ist.)
Aber was soll ich sagen? Ich habe mich dann doch durchgerungen, einen Alligator zum Bild des Tages zu machen. Aus mehreren Gründen. Zum einen, weil es das erste Mal war, dass sich einen Alligator an Land und marschierend vor die Kamera bekommen habe. Das Tier, ich schätze mal so rund zwei Meter lang, ist noch ein Jungtier. Man erkennt das an der Färbung. Alte Alligatoren sind schwarz-grau mit hellem Bauch. Die Jungtiere haben Streifen, um sie gegen Fressfeinde zu tarnen, und dieses Jugendkleid legen sie erst im Laufe der Jahre ab. Ich habe zwar schon Alligatoren an Land gesehen, aber noch nie, wie sie sich hochstemmen um zu gehen. Was man auf dem Bild außerdem gut erkennen kann, das ist der Untergrund, in den der Alligator beim Laufen einsinkt, und der sehr typisch für Okefenokee ist. Am Boden des Okefenokee-Sumpfes sammelt sich nämlich viel Pflanzenmaterial von Seerosen und so weiter an und bildet Torf. Der gärt vor sich hin und irgendwann schwimmt dann mal so eine Torfscholle auf. Diese schwimmenden Inseln werden quasi sofort von Pflanzen besiedelt, und auch gerne von den Alligatoren für Landgänge genutzt.
Die anderthalb Stunden Bootstour mit Dan vergingen wie im Flug. Ich habe viel gelernt und sehr viel gesehen. Nachdem wir wieder an der Anlegestelle waren hat mir Dan noch das Nest der Rotschulterbussarde gezeigt, und dann habe ich mich alleine zuerst mal zu Fuß auf die weitere Erkundung von Okefenokee gemacht. [Aus den Boxen hier auf der Veranda des Seagle’s Saloon kommt gerade eine Reggae-Version des Pink Floyd-Klassikers ‚Wish you were here‘… KANN man machen… MUSS man nicht… *lach…]
Im Anschluss an die Bootstour bin ich noch den sogenannten Swamp Island Drive abgefahren, der durch verschiedene Regionen des Reservates führt. An mehreren Stellen kann man auch spazieren gehen und zwei dieser Walks habe ich auch gemacht. Allerdings war der Tag jetzt schon auf den Mittag hin fortgeschritten, das Sönnchen war rausgekommen und es pfiff ein fröhlicher Wind. Nicht die besten Bedingungen fürs Birdwatching. So ist mir dann leider auch der gefährdete Kokardenspecht, den es hier in Okefenokee noch in größer Zahl gibt, leider durch die Lappen gegangen.
Erst um kurz vor zwei bin ich von Okefenokee aufgebrochen. Dabei hatte ich eigentlich nur den Vormittag eingeplant gehabt. Das war jetzt aber überhaupt nicht schlimm. Die Gegend dort ist super und ich kann sie jedem, der ins Grenzgebiet von Florida und Georgia kommt, nur empfehlen. Ich finde es sogar besser als die Everglades, nicht zuletzt weil hier viel, viel weniger los ist.
Von Okefenokee bin ich nach Jekyll Island gefahren, einer der Barriereinseln vor der Küste von Georgia. Eine Kette von über hundert, der eigentlichen Küste vorgelagerten Inseln zieht sich hier von South Carolina bis Florida. (Weiter nördlich findet man dann die Inseln der Outer Banks von North Carolina.) Jekyll Island war als eine gute Location für die Vogelbeobachtung im „National Geographic Guide to Birding Hot Spots of the United States“ empfohlen, aber so richtig erfolgreich war ich nicht. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass ich zu diesem Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen eine übellaunige Phase hatte. Egal. Ich bin ein bisschen über die Insel gefahren und habe mich dann auf den Weg nach St. Marys gemacht, wo ich für die nächsten beiden Nächte Quartier habe. Warum ich hier bin, das erzähle ich morgen… Hier sind nämlich jetzt zwei Seiten voll… Oh oh…

P.S. Ich habe im örtlichen Supermarkt noch ein bisschen eingekauft. Unter anderem mehrere Flaschen Heinz 57, das man leider – aus mir unerfindlichen Gründen – bei uns nicht mehr kriegt.

P.P.S. Aktueller Stand: 62 Vogelarten, darunter zwei neue… Nicht so schlecht.



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