14. Juli 2022
Auf die Gefahr hin, jetzt wie ein Angeber zu klingen, aber was ferne Länder und Landschaften angeht, bin ich mittlerweile nach 48 Reisejahren nicht mehr so leicht zu beeindrucken. Was ich aber heute erlebt habe, das kann ganz oben in der ersten Liga mitspielen.
Ich bin nach Hamningberg gefahren, ein winziges Dorf am Ende der Straße. Naja, was man so Straße nennt. Von den 43km in der angehängten Karte sind die letzten 28km einspurig. Das heißt bei Gegenverkehr muss man in eine Ausweichbucht fahren. Insofern sind auch die 52 Minuten, die Google Maps da ausgerechnet hatte, völlig utopisch.
Aber man will auch gar nicht schnell fahren auf dieser Straße. Zumindest ich wollte das nicht und habe fast zweieinhalb Stunden gebraucht. Die Landschaft ist einfach episch. Ich habe noch nie solche Felsformationen gesehen. An manchen Stellen sieht es aus, als hätte ein Riese einfach einen Teil des Berges weggebrochen und nur Splitter übrig gelassen. Diese „Splitter“ sind aber meterhoher Fels, und die Straße windet sich mitten hindurch. Außerdem hat man fast durchgehend Blick auf das Meer, das mit dem Himmel um die Wette Blau verstrahlt. Es war zwar noch ein bisschen diesig nach dem Nebel, Regen und Gewitter der letzten Nacht, aber für meine Fahrt nach Hamningberg war rechtzeitig die Sonne rausgekommen. Immer wieder boten sich so die tollsten Ausblicke und ich habe etliche Fotostopps unterwegs gemacht. Ein Bild der Landschaft ist daher auch das Bild des Tages geworden, wobei ein Bild natürlich nur einen ganz schwachen Eindruck geben kann von dem wirklichen Panorama, das sich hier bietet.
Auch die Naturbeobachtung ist nicht zu kurz gekommen auf der Fahrt nach Hamningberg. Ich hatte gestern vom Hotel eine Karte der Umgebung bekommen, und da waren auch die besten Punkte für Vogelbeobachtung drauf eingezeichnet. Einige von denen bin ich heute angefahren und es hat sich gelohnt. So war heute unter anderem der Tag der Seeadler. Insgesamt acht Stück habe ich heute gesehen. Das sind schon sehr eindrucksvolle Vögel, und noch nicht mal besonders scheu.
Rentiere habe ich heute zu hunderten gesehen, wobei die Mehrzahl davon einzelne Bullen oder Junggesellenherden waren. Ähnlich wie Rothirsche leben Rentiere nämlich in getrennten Herden. Manchmal kommen die Rentiere einem einfach auf der Straße entgegen getrabt. Es gab auf jeden Fall viele schöne Fotomotive, und die geplante Rubrik „Rentier“ in Frantis Safari wird nicht am fehlenden Bildmaterial scheitern.
Nach gemütlicher Fahrt mit vielen Stopps bin ich gegen viertel vor eins in Hamningberg angekommen. Der Ort hat nur eine Handvoll Häuser, aber er hat in Nordnorwegen Seltenheitswert. Im Gegensatz zu fast allen anderen Siedlungen hier im Norden wurde Hamningberg nämlich nicht von deutschen Soldaten zerstört. Deshalb gibt die Bebauung einen guten Eindruck davon, wie vor dem Zweiten Weltkrieg die meisten Dörfer hier oben ausgesehen haben. Auch wenn die Wehrmacht es nicht zerstört hat, wurde Hamningberg trotzdem 1964 aufgegeben. Seitdem werden einige der Häuser noch als Ferienhäuser genutzt und es gibt ein bisschen Tourismus. Dazu habe ich dann heute beigetragen. Ich habe den Suzuki auf den Parkplatz außerhalb des Ortes gestellt und bin ins Dorf spaziert um in einem der beiden Cafés Kaffee zu trinken und ein Stück Kuchen zu essen als Mittagsimbiss. Draußen auf der Terrasse oder besser gesagt auf dem Deck. Mit Blick auf die Bucht und den Strand und mit dem Panorama der Berge der Varanger-Halbinsel im Hintergrund. Ungefähr ne Stunde hab ich da gesessen und die Aussicht auf die Umgebung genossen. Die Eis- und Eiderenten in der Bucht. Die Möwen, die hier keine Anstalten machten sich um meinen Kuchen zu kümmern. Die Kegelrobben, die ihre Köpfe aus dem Wasser streckten. Die Bachstelze, die über das Geländer des hölzernen Piers marschierte. Die Rentiere, die auf dem Strand standen. Hmmmm… ich habe versucht zu ergooglen, warum die Rentiere sich auf den Strand stellen. Das habe ich nämlich in den letzten Tagen und erst recht heute mehrfach gesehen, dass sich die Rentiere in Gruppen oder sogar Herden auf dem Strand in der Nähe des Wassers aufhalten. So richtig gefunden habe ich nichts, was das Verhalten erklärt. Eine Theorie war, dass die Rentiere so den Insekten entgehen wollen. Möglich ist das durchaus, wobei ich selber heute kaum von stechendem Getier belästigt worden bin.
Gegen zwei habe ich mich auf den Heimweg gemacht. Die Sonne war inzwischen hinter Dunstschleiern verschwunden. Als ich gegen halb vier wieder in Vardø war, lagen schon wieder Wolken über der Gegend. Ich bin trotzdem noch zu ein paar Vogelbeobachtungspunkten gefahren, aber die Scheckente hat sich rar gemacht. Ich werde es morgen auf der Rückfahrt noch ein bisschen versuchen. Tja, morgen geht es zurück nach Kirkenes und übermorgen dann hoffentlich nach Oslo. Denn bei der SAS streiken seit elf Tagen die Piloten. Keine Ahnung, wie sich das entwickelt und was das für die letzte Etappe meiner Reise bedeuten wird.
Tjaaaaaa… heute vor einem Jahr saß ich auch abends am Logbuch und verfolgte gleichzeitig die immer schlimmer werdenden Nachrichten aus der Heimat. Das Logbuch ist damals nicht mehr fertig geworden und am nächsten Tag war ich auf der Heimreise. Zum Jahrestag bin ich jetzt zwar nicht zu Hause, aber natürlich denke ich auch hier an diesen Tag und alles was danach kam.
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