19. Oktober 2019

Abbas hatte gestern abend gesagt, dass er ab 8:00 Uhr heute morgen im Hotel wäre, um uns mitzuteilen wie die Lage ist und ob Programm stattfindet. Mohammed, unser Fahrer, und er hatten sich schon informiert, und als ich um kurz nach acht zum Frühstück runter kam, hieß es: „Das heutige Programm findet ganz normal statt.“ Um neun Uhr ging‘s los.
Beirut war ungewöhnlich ruhig heute morgen, kaum Verkehr und wenige Leute auf den Straßen, auch kaum Sicherheitskräfte. Überall sah man die Spuren der Ausschreitungen in den letzten beiden Nächten, Gerippe von verbrannten Reifen, Schutthaufen auf den Straßen, umgestürzte und abgefackelte Müllcontainer. Aber nachdem die libanesische Armee und die Internal Security Forces gestern abend die Demonstrationen in Beirut aufgelöst hatten, waren die Straßen heute morgen weitgehend frei und wir sind ohne Probleme auf die Autobahn in Richtung Süden gekommen. Kurz bevor wir nach links ins Gebirge abbiegen wollten, mussten wir zwar auf Grund einer Straßensperre von der Autobahn runter, aber danach war die Fahrt ins Chouf-Gebirge frei.
Das Chouf-Gebirge ist das hauptsächliche Siedlungsgebiet der libanesischen Drusen. Die Drusen sind eine Religionsgemeinschaft, die sich im 11. Jahrhundert vom schiitischen Islam abgespalten hat. Im Libanon bilden sie die fünftgrößte religiöse Gruppe. Der Libanon ist das Land mit der größten drusischen Bevölkerung. Drusen leben außerdem in Syrien, Israel und eine kleine Zahl auch in Jordanien. Die drusische Religion ist eine Geheimreligion, das heißt über ihre Riten und Gottesdienste erfährt man als Nicht-Druse nichts. Selbst bei den Drusen gibt es die Eingeweihten und die Nichteingeweihten. Fromme Drusen erkennt man, wenn sie zu den Eingeweihten gehören, an ihrer speziellen Tracht. Die Männer tragen schwarze Kleidung, insbesondere schwarze Pluderhosen sowie eine weiße Mütze. Die eingeweihten Frauen tragen lange schwarze Gewänder und ein weißes Kopftuch, das auch den Mund bedeckt (während nichteingeweihte drusische Frauen kein Kopftuch tragen).
Unser erster Besichtigungsstopp heute war der Palast Beit Eddine. Diesen Palast ließ der vorletzte drusische Emir des Emirats Libanonberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts im damals typischen orientalischen Stil errichten. (Das Emirat Libanonberg wurde 1842 aufgelöst und das Gebiet direkt unter osmanische Herrschaft gestellt.) Der Palast ist eine wirklich schöne Anlage, die nicht nur mich in weiten Teilen an die Alhambra in Granada erinnert hat, auch wenn der Palast Beit Eddine bei weitem nicht so alt ist. Wir haben uns den Palast ausführlich angesehen und auch – zum ersten Mal auf dieser Tour - eine ausführliche Führung durch Abbas bekommen, der uns sonst immer nur was am Eingang erzählt hat und uns danach alleine durch die Sehenswürdigkeiten laufen ließ. Der Palast ist übrigens heutzutage die Sommerresidenz des libanesischen Staatspräsidenten. Die Anlage liegt auf gut 800m Höhe und bietet einen tollen Blick über die Landschaft im Südosten des Libanon.
Das Chouf-Gebrige ist, wie eigentlich der gesamte Libanon, landschaftlich super schön und in Teilen sogar spektakulär. Typische Mittelmeervegetation bedeckt die Hänge, die nicht für die Landwirtschaft genutzt werden. Für die Landwirtschaft hat man dagegen die Hänge im Chouf-Gebirge an vielen Stellen terrassiert. Das sieht man auch im Bild des Tages, einem Blick auf Deir al Qamar vom Palast Beit Eddine aus.
Deir al Qamar liegt zwar im drusischen Gebiet, die überwiegende Zahl seiner Einwohner sind aber Maroniten. Außerdem findet man mitten im Zentrum der Stadt auch eine kleine Moschee. Wir hatten eine gute Stunde Freizeit in Deir al Qamar, und ich bin ein bisschen durch den Ort spaziert und habe unter anderem Bier für den Export gekauft. Das war auch schon ganz gut so, denn in West-Beirut, wo unser Hotel liegt, kriegt man im Laden kein Bier. Dafür hätte ich in den christlichen Teil nach Ost-Beirut gemusst und das ist auch unter besten Bedingungen nicht ganz so einfach und erfordert eine Taxifahrt. Nach der Mittagspause in Deir al Qamar haben wir noch einen Abstecher zum Barouk Cedar Forest, der Teil des Chouf Biosphären-Reservats ist, gemacht und sind dort ein bisschen spazieren gegangen.
Für die Rückfahrt hatten Abbas und Mohammed sich schon über verschiedene Quellen schlau gemacht, was der beste Weg zurück nach Beirut sein würde. Wir sind ganz gut durchgekommen, auch wenn schon wieder die ersten Straßensperren errichtet wurden. Immerhin war die Autobahn fast leer, was, wie Abbas sagte, für einen Samstag total ungewöhnlich ist. Die meisten Libanesen hatten wohl verständlicherweise keine Lust auf nen Wochenendausflug. In Beirut war alles ruhig, als wir dort ankamen, aber es waren schon wieder etliche mit libanesischen Flaggen ausgerüstete Demonstranten auf dem Weg in die Innenstadt.
Gegen halb fünf waren wir im Hotel. Wir haben uns von Abbas verabschiedet und ich habe auch schon Mohammed „auf Wiedersehen“ gesagt, denn im Gegensatz zum Rest der Gruppe, die morgen früh um vier oder morgen Nachmittag um 17:00Uhr nach Hause fliegen und von Mohammed zum Flughafen gefahren werden, habe ich ja noch nen Tag länger und werde am Montag von einem anderen Fahrer zum Flughafen gebracht.
Für morgen muss ich mal kucken, wie ich den Tag gestalte. Angesichts der aktuellen Lage  haben mein Beiruter Spotter-Kontakt Kris und ich vereinbart, das Fliegerkucken auf meinen nächsten Besuch im Libanon zu verschieben. Ich werde auf jeden Fall erst einmal ausschlafen.

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