1. August 2019

Heute war ein perfekter Tag. Ich habe mir einen Traum erfüllt, sozusagen mein eigenes Geburtstagsgeschenk.
Ich habe heute eine Tagestour mit der Regionalfluggesellschaft Canadian North in die kanadische Arktis gemacht, von Yellowknife über Kugluktuk (früher Coppermine) nach Cambridge Bay (auf Victoria Island) und von dort wieder zurück nach Yellowknife. Das Besondere? Das Flugzeug, das auf dieser Strecke eingesetzt wird, ist eine Boeing 737-200 Combi. Bei dieser Version befindet sich im vorderen Bereich der Kabine ein Frachtraum für Paletten und hinten gibt es Sitze. Die Maschine, mit der wir heute unterwegs waren, trägt die Registrierung C-GDPA und ist im April 1980 bei der Boeing-Fabrik in Renton vom Band gelaufen. Um hier oben im hohen Norden Kanadas (fast) überall hin zu kommen, ist die Maschine mit einem sogenannten Gravel Kit ausgestattet, der den Einsatz von Schotterpisten und im Winter auch von Eispisten erlaubt. So kann man sogar mit einer 737 echte Buschfliegerei betreiben und die entlegenen Gemeinden im arktischen Norden Kanadas versorgen. Meine letzten Flüge mit einer 737-200 hatte ich vor zwölf Jahren auf Hawaii. Mittlerweile sind weltweit nur noch ein paar Handvoll der insgesamt 1095 produzierten 737-200 im Einsatz. Der heutige Tag war also in vielfacher Hinsicht was Besonderes für mich.
Es begann am Flughafen in Yellowknife, wo heute morgen um kurz vor 10 die Hölle los war. Drei Maschinen von Canadian North und drei Maschinen von First Air sollten innerhalb einer halben Stunde zu ihren jeweiligen Zielen in den Northwest Territories und Nunavut aufbrechen. Wenn ich das so richtig einschätze, dann war ich der einzige Tourist unter all den Leuten. Die meisten anderen waren Menschen, die hier wohnen und auf dem Weg nach Hause oder zur Arbeit waren, oder vielleicht auch zur Jagd oder zum Angeln (aber die würde ich nicht als Touristen bezeichnen). Ich habe ja schon den einen oder anderen exotischen Ort gesehen, und meistens denkt man bei Exotik an die Tropen, schwül-warme Luft und den Duft fremdländischer Gewürze, aber ich sage Euch, der Flughafen von Yellowknife heute morgen kann in Sachen Exotik absolut in der ersten Liga mitspielen. Eskimo-Familien mit vielen Kindern, ein junger Indianer mit Kopfhörern in den Ohren, bärtige Europäer mit Gummistiefeln und Harley-Davidson-Baseballkappen… da ist die junge Familie, die nach Gjoa Haven (habt Ihr‘s auf der Karte gefunden?) muss, auf der Warteliste steht und als es ans Einsteigen geht, können nur zwei von den insgesamt fünf Personen mit… da ist der coole Indianer mit Sonnenbrille und modischem Iro-Haarschnitt, die Hose hip-hop-mäßig tief… die Eskimo-Jungs mit den Jogginghosen und Adiletten, die gespannt auf ihre Handys starren… naja, und dazwischen ich… ganz aufgeregt. Security-Kontrollen gibt‘s hier übrigens nicht. Zumindest nicht für die Flüge innerhalb des kanadischen Nordens.
Um zwanzig vor elf war dann auch Flug 5T 446 mit Einsteigen dran. Insgesamt 25 Passagiere saßen auf den 34 Sitzen im hinteren Bereich der Kabine. Ich habe natürlich – wer schon mal mit mir unterwegs war kennt das – der Flugbegleiterin meine Flight Logs gegeben. Wie das hier in West-Kanada eigentlich bisher überall so war kam man sofort ins Gespräch. Die Kanadier an sich sind schon sehr freundlich, aber hier in den Northwest Territories, wo praktisch jeder jeden kennt, ist es sogar noch ausgeprägter. Und dabei ist diese Freundlichkeit nicht aufgesetzt, wie man das in den USA manchmal erlebt. Das sind hier einfach nette Leute. So habe ich mich auf den beiden Flügen bis Cambridge Bay zum Beispiel sehr nett mit meiner Nachbarin unterhalten, die in dort als Lehrerin arbeitet und einiges über das Leben im hohen Norden berichtet hat. Das würde aber hier den Rahmen sprengen, wenn ich das alles ins Logbuch einbaue. Kann ich bei Gelegenheit gerne im Gespräch erzählen.
Dann ging‘s los. Die beiden Pratt&Whitney JT8D-17 Triebwerke wurden aufgeweckt und wir rollten zur Startbahn.
Eine Stunde und fünf Minuten dauerte der Flug bis nach Kugluktuk. Der Ort hieß früher Coppermine, was auch den Flughafencode YCO erklärte (alle kanadischen Flughafencodes fangen mit Y an). Unterwegs sieht man nichts außer Felsen, Seen, ein bisschen Grün, Schnee und Eisreste und ab und zu mal einen Fluss, der Schleifen durch die Landschaft zieht.
Die Landung auf der knapp 1700m langen Schotterpiste in Kugluktuk erfolgte mit einem mächtigen Rabumms und anschließendem kräftigen Bremsen, dass der Staub nur so wirbelte. Das seht Ihr im ersten Bild des Tages… voll ausgefahrene Landeklappen, ausgefahrene Schubumkehr (ich hatte mich vor dem heutigen Tag gefragt, ob die auf Schotter überhaupt eingesetzt wird). Die Flecken auf dem Bild sind übrigens nicht auf dem Sensor der Kamera sondern auf den Scheiben des Fliegers. Das Wetter ist nämlich nicht immer nur schön hier oben, und wenn die Schotterpiste nass ist, dann spritzt halt der Matsch gegen den Flieger.
In Kugluktuk hatten wir ne dreiviertel Stunde Aufenthalt und ich bin ausgestiegen und habe mir das Flughafengebäude angesehen… naja – ein paar Wohncontainer… mehr ist es nicht. Innendrin ein ähnliches Kaleidoskop wie in Yellowknife, nur das hier außerdem noch fast jeder jeden kannte. An den Wänden hingen Poster zur Geschichte des Ortes und Plakate zum Umgang mit Eisbären, und die Türen waren nicht nur mit „Exit“ sondern auch in der lokalen Eskimo-Schrift markiert. Draußen war es erstaunlich warm, so dass ich meine Jacke gar nicht brauchte, aber es pfiff ein fröhlicher Wind und als ich mir die Windsocken ansah, die auf Flughäfen den Piloten die Windrichtung und -stärke anzeigen, war mir klar, warum es bei der Landung so gerummst hatte. Bei dem ungnädigen böigen Seitenwind, den wir heute in Kugluktuk hatten, kann sowas schon mal passieren.
Nach der Rumpel-Landung gab es nen sportlichen Start für die zweite Etappe nach Cambridge Bay. Die freundliche Canadian North-Stewardess hatte mir schon gesagt, dass ich dort nicht aussteigen, sondern sitzenbleiben sollte, weil die Piloten mir den vorderen Teil des Flugzeugs zeigen wollten. Unterwegs war nicht viel zu sehen, denn es war wolkig und auch in Cambridge Bay selbst schien nur ab und an die Sonne durch die Wolkendecke.
Nach der Landung habe ich mich sehr nett mit den beiden Kapitänen unterhalten, wir haben gefachsimpelt, ich habe noch einiges über die 737-200 gelernt und darüber wie es ist, Pilot im Norden Kanadas zu sein und für Canadian North zu arbeiten. Außerdem konnte ich hautnah zusehen, wie die Frachtpaletten entladen wurden. Mit Muskelkraft durch den Flieger und auf den Gabelstapler geschoben. Sieht man im zweiten Bild. Die zwei Jungs von der Bodencrew hatten für heute jedenfalls schon mal die Muckibude gespart. Da ich auf Grund eines Computer-Problems bei Canadian North heute morgen noch nicht für den Rückflug einchecken konnte, hätte ich eigentlich in Cambridge Bay noch zum Schalter gemusst, aber das hatte dann freundlicherweise einer der beiden Piloten für mich erledigt, der nach seinem Außenrundgang wieder an Bord kam und mir meine Bordkarte in die Hand drückte… Alles sehr formlos und unkompliziert, genauso, wie Fliegen eigentlich sein sollte.
Das letzte Teilstück, von Cambridge Bay zurück nach Yellowknife, war dann ebenfalls sehr denkwürdig und um kurz vor vier heute Nachmittag endete mein Flugabenteuer nach fünf Stunden und drei Minuten wieder da, wo es begonnen hatte. Es war absolut fantastisch und ich würde diesen Trip oder einen ähnlichen sofort wieder machen.
Morgen geht‘s zur vorletzten Station meiner Reise, nach Inuvik. „Up the Valley“, wie man hier in den Northwest Territories sagt. Wieder mit Canadian North, und ne Zwischenlandung in Norman Wells ist auch noch mit dabei. Aber es wird nur eine „normale“ 737-300 sein.

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