25. Juni 2023

Es passiert mir nicht mehr so oft, dass mich ein Reiseerlebnis zu spontanen Begeisterungsausbrüchen verleitet, aber als ich heute nachmittag kurz vor dem heutigen Etappenziel über eine Hügelkuppe fuhr und die Eisberge in der Bucht liegen sah, entfuhr mir doch ein lautes „Boah, Krass!“ Nur ein paar Sekunden später habe ich das zweite Bild des Tages gemacht. Immer wenn man denkt, man hat eigentlich alles gesehen, dann wird man um so schöner überrascht.
Ich bin in Twillingate, einem kleinen Ort an der Nordostküste von Newfoundland. Der Ort ist für die Eisberge bekannt, aber dass die hier einfach in den Buchten rumdümpeln, das hatte ich, wie erwähnt, nicht erwartet. Dabei war ich zum Eisberge kucken hier hergekommen. Morgen früh gibt es eine Eisberg- und Whalewatching-Tour.
Um kurz vor neun heute morgen habe ich mein cooles Quartier in St.John’s verlassen, denn heute war einiges an Strecke zu bewältigen. Rund 480km mehr standen am Ende des Tages auf dem Kilometerzähler des Corollas. Die Strecke könnt Ihr auf der Karte nachvollziehen. Ich habe den Ausschnitt mal ein bisschen größer gewählt, damit Ihr einen besseren Überblick über die Insel bekommt. Newfoundland (ausgesprochen NJU-fundländ), von den Einheimischem liebevoll „The Rock“ – der Felsen – genannt, ist mit 108.000km² knapp ein Drittel so groß wie Deutschland. Allerdings leben hier nur ungefähr eine halbe Million Menschen. Viel Land und wenig Leute also. Das merkt man deutlich, wenn man hier unterwegs ist. Die Avalon-Halbinsel, auf der auch St.John’s liegt, ist noch am dichtesten besiedelt. Danach kommt oft lange nichts zwischen den Dörfern.
Die Fahrt heute führte von St.John’s bis Gander über den Trans-Canada Highway. Der zieht sich durch das ganze Land von Victoria, British Columbia, am Pazifik bis St.John’s am Atlantik, fast 7500km insgesamt. Auf der Karte sieht man, dass der Trans-Canada Highway quer über die ganze Insel führt, bis nach Port-aux-Basques. Den größten Teil davon werde ich auf dieser Reise befahren.
Die Landschaft hier im Osten Neufundlands ist schwer zu beschreiben. Ich habe mich an Norwegen erinnert gefühlt und an das kanadische Nordwest-Territorium. Aber irgendwie dann auch wieder nicht. Es ist hier halt typisch neufundländisch. Den ersten Teil der Strecke ungefähr bis Clarenville ist das Land wellig, mit Tundra oder krüppeligen Nadelwäldern bewachsen, dazu viele Seen, Teiche und Sümpfe. Danach wird es etwas bergiger, aber jetzt nicht Hochgebirge wie die Rockies. Eher felsige oder bewaldete Hügel. Hier befindet sich der Terra Nova-Nationalpark, meine erste Station des Tages. Meine einzige Erinnerung von 1991 an den Terra Nova-Nationalpark war, dass wir ohne anhalten durchgefahren sind, weil es so geregnet hat. Was soll ich sagen? Viel hat sich hier nicht geändert in den letzten 32 Jahren. Ich war gerade auf einem der Hügel mit Aussichtspunkt angekommen, als es anfing zu fiseln. Als ich am Visitor Center vorfuhr, war es schon Regen, und der hat dann den Rest des Tages nur die Intensität gewechselt und hat erst nach meiner Ankunft in Twillingate aufgehört.
Vom Terra Nova-Nationalpark ging die Fahrt weiter nach Gander. Hier habe ich ein paar Vorräte eingekauft und dann bin ich zum Flughafen gefahren. Leider war das Wetter suboptimal, so dass ich keine internet-tauglichen Außenaufnahmen machen konnte.
Der Flughafen von Gander ist was Besonderes. Am 16. September 1945 landete hier der erste Testflug für eine Atlantiküberquerung im Passagierverkehr. Die DC-4 der PanAm flog dann nach Shannon in Irland weiter und damit begann der transatlantische Flugverkehr in Etappen. Da die Flugzeuge der damaligen Zeit nicht genügend Reichweite für Nonstop-Flüge über den Großen Teich hatten, mussten sie zwischendurch auftanken. Die meisten Airlines taten das in Shannon und in Gander. Sogar Fluggesellschaften aus dem Ostblock tankten in Gander auf, wenn sie unterwegs nach Havanna waren. Den Spitznamen „Crossroads of the world“ hatte sich Gander in dieser Zeit des beginnenden Transatlantikverkehrs also wirklich verdient. Erst das Aufkommen von strahlgetriebenen Flugzeugen mit größerer Reichweite, wie der Boeing 707 und der DC-8 Anfang der 1960er Jahre machte Tankstopps in Gander weitgehend überflüssig, und der Flughafen fiel in einen immer noch andauernden Dornröschenschlaf. Es gibt jeden Tag ein paar innerkanadische Flüge und ab und zu mal eine außerplanmäßige Landung eines Transatlantikfliegers, aber das war’s dann auch schon.
Als ambitionierter Plane Spotter konnte ich an diesem „heiligen Boden“ natürlich nicht einfach so vorbeifahren. Umso größer war meine Freude, dass man mit der eigenen Luftfahrtgeschichte in Gander sehr gut umgeht. Die ehemalige International Departure Lounge ist im Stil der 1950er Jahre erhalten und auf dem verglasten Beobachtungsdeck gibt es eine Ausstellung über die guten Zeiten der Luftverkehrs in Gander. Sogar für passende Musik ist gesorgt: Frank Sinatra erklingt aus den Lautsprechern. Sehr lustig, und super gemacht. Da ist es geradezu selbstverständlich, dass die Gander International Lounge das erste Bild des Tages bekommen hat.
Vor der Weiterfahrt habe ich noch eine kurzen Stopp am Silent Witness Memorial eingelegt, das an einen der schwarzen Tage in der Luftfahrtgeschichte von Gander erinnert, den Absturz von Arrow Air Flug 1285 am 12. Dezember 1985, bei dem 256 Menschen ums Leben kamen und der immer noch das schlimmste Flugzeugunglück in Kanada ist.
Die weitere Strecke nach Twillingate führte von Gander aus, wo ich noch den Corolla getankt hatte, nach Norden, auf schlaglochnarbigen Straßen und im Regen. Eindrucksvoll war es trotzdem. Die Nordostküste Neufundlands besteht hier aus unzähligen Inseln und Schären, die mit Dämmen und Brücken miteinander verbunden sind, und wohin sich die Eisberge zum Sterben zurückziehen. Durch das Eis und das kalte Meer ist es hier auch deutlich kälter. Klar, der Regen hat auch dazu beigetragen, aber der Unterschied zwischen 26 Grad gestern in St.John’s und 6 Grad hier in Twillingate ist schon krass.
Ich wohne hier sehr schön in einem kleinen Ferienapartment. Ich musste allerdings die Heizung anmachen… *lach….


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