15. April 2017

Frohe Ostern. Es läutet und böllert grade was das Zeug hält und ich sitze auf dem Balkon meines Hotelzimmers hier in León und lasse den Tag Revue passieren.
Nach dem Highlight gestern ging es heute deutlich ruhiger zu, nicht zuletzt, weil auch Karsamstag war.
Um halb neun kam Miguel mich abholen und wir sind in die Stadt spaziert. Die erste Station war der Markt, der zwar auch heute geöffnet hatte, aber nicht so geschäftig war, wie an einem normalen Samstag. Fisch und Fleisch wurde zum Beispiel nur wenig angeboten. Trotzdem ein spannender Marktbesuch, denn zum einen konnte ich einen sehr alltäglichen Teil des Lebens der Nicaraguaner kennenlernen und zum anderen gibt’s hier auch Sachen zu kaufen, die man bei uns gar nicht oder nicht in dieser Form kennt. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es so viele verschiedene Sorten von Papayas gibt. Hier auf dem Markt entstand auch das erste Bild des Tages. Die Frucht heißt Jocote („HO-ko-tee“ gesprochen) und ist etwa so groß wie ein Pflaume. Man kann die hier an allen Straßenecken als Snack kaufen, und wenn man will auch noch ein bisschen Salz drauf streuen. Jocote schmeckt süß-säuerlich und hat gelbes Fruchtfleisch und nen dicken Kern in der Mitte, eben wie ne Pflaume. Auf Mancarrón hatte ich Jocote schon als Nachtisch, ähnlich wie Pflaumenkompott bekommen, und hier in León hat Miguel uns ein Büggelchen bei einem Händler am Straßenrand erstanden, damit ich mal probieren konnte. In Nicaragua werden die Früchte übrigens nur halbreif gegessen. In reifem Zustand sind sie außen dunkelrot bis gelb.
Nach dem Markt sollte es eigentlich zuerst auf's Dach der Kathedrale und dann in die Kirche selbst rein gehen, aber wegen des Karsamtags waren sowohl das Dach als auch die Kirche leider zu. Mist. Wäre ich besser gestern doch mal rein gegangen. Jetzt werde ich morgen früh noch mal hin stiefeln. Miguel hat das beste aus der Situation gemacht und wir haben einen gemütlichen Stadtspaziergang gemacht und sind unter anderem in zwei Museen gewesen. Die Fundación Ortiz-Gurdián beherbergt moderne Kunst vorzugsweise aus Lateinamerika, aber auch eine kleine Sammlung klassischer Werke aus Europa, moderne Kunst aus Nordamerika, eine Sammlung antiker und moderner mittelamerikanischer Keramik, und zur Zeit eine Ausstellung über Dali und Goya. Ich muss sagen, die lateinamerikanischen Sachen waren alle sehr düster. Es hat aber auf jeden Fall Spaß gemacht, mit Miguel durch die Ausstellung zu gehen und über die Bilder zu diskutieren.
Danach waren wir noch im Museo de Leyendas y Tradiciones, in dem – wie der Name schon andeutet - die Legenden und Traditionen der Stadt León in Form von Pappmaché- und Plastikfiguren gezeigt werden. Grotesker Weise befindet sich diese Ausstellung im ehemaligen politischen Gefängnis von León, wo unter der Somoza-Diktatur die Regierungsgegner inhaftiert und gefoltert wurden. Diese Zeit wird an den Wänden mit Zeichnungen dokumentiert und davor stehen die Pappkameraden, mit denen man die Folklore von León veranschaulicht und Geschichten zum Kleine-Kinder-erschrecken visualisiert (Sachen, wie: „Wenn Du nicht brav im Bett bleibst, dann kommt Dich der Wagen des Todes holen“ und ähnliches...). Das war alles schon ein bisschen surreal.
Während des Stadtspaziergangs hatte ich darüber hinaus reichlich Gelegenheit, mich mit Miguel über die Geschichte und aktuelle Politik Nicaraguas zu unterhalten. Ich will jetzt hier nicht ins Detail gehen, aber es war schon spannend, seine Sicht der Dinge zu erfahren, vor allem, weil er sich weder der Regierung noch der Opposition zurechnet.
Zur Mittagspause haben sich unsere Wege dann getrennt. Ich habe im Hotel nen kleinen Imbiss genommen und um viertel vor zwei stand Miguel samt Fahrer – Roberto, der mich auch morgen den ganzen Tag fahren wird – wieder parat und wir sind eine gute halbe Stunde nach Nordwesten aus León raus nach Chichigalpa gefahren.
Hier befindet sich die Rum-Destillerie von Flor de Caña, DEM nicaraguanischen Rum... Es gab eine klassischen Besichtigungstour inklusive Werbeshowfilm, Verkostung und Souvenirshop. Schon interessant, aber nicht mit so nem wirklichen „Wow“-Faktor. Das mag auch daran liegen, dass Rum nicht so mein Getränk ist. Lustig war's aber trotzdem, weil Miguel und Roberto auch mit auf der Tour waren und wir ein bisschen Spökes gemacht haben. Und weil eine Gruppe mit ostdeutschen Frauen in etwas fortgeschrittenerem Alter mit dabei waren, die zum Teil kaum Englisch sprachen, so dass ich unserem Guide Vladimir (jaja, der Einfluss der Sowjetunion... *lach...) ein bisschen unter die Arme gegriffen und das ein oder andere ins Deutsche übersetzt habe. Vladimir konnte zwar ganz passabel Deutsch, aber er sagte, dass er das für eine Führung zu schwierig findet. In der Rum-Destillerie entstand auch das zweite Bild. Ich glaube, da muss ich nicht viel zu erzählen.
Als wir wieder in León waren, hieß es Abschied nehmen von Miguel, denn heute ist schon mein letzter Abend hier. Echt schade, denn an diese Stadt könnte ich mich gewöhnen. Ist schon schön hier, wobei schön jetzt eigentlich gar nicht der richtige Ausdruck ist. Aber mir gefällt's, vor allem die Atmosphäre.
Zur Feier des Ostervorabends habe ich heute nicht hier im Hotel, sondern im  Al Carbon zu Abend gegessen, einem Steakhouse, das sowohl vom Lonely Planet, als auch vom Info-Ordner des Hotels, als auch von Miguel empfohlen worden war. Das Essen war auch wirklich sehr gut, und ich muss mein Urteil über die Fremdsprachenkenntnisse der Nicaraguaner, oder viel mehr den Mangle an selbigen, etwas revidieren. Hier in León, das allerdings auch eine der Haupt-Touri-Hochburgen von Nicaragua ist, kann man auch mit Englisch überleben... Auf dem Rückweg zum Hotel bin ich nochmal am Parque Central vor der Kathedrale vorbei, wo jetzt reges Treiben herrschte, in der Kirche grade die Osternachtsfeierlichkeiten liefen, und wo die Kathedrale schön angestrahlt war. Ein passender Abschluss für meinen Aufenthalt in León.
Morgen geht’s es weiter nach Granada, mit einem abwechslungsreichen Kultur- und Naturprogramm für unterwegs. Bin gespannt... und denke nicht darüber nach, dass morgen auch Halbzeit ist.

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