26. Juni 2023

Der Tag heute stand fast ganz im Zeichen des Eises. Eisberge sind eine der Hauptattraktionen hier in Twillingate und auch der Hauptgrund, warum ich hier bin. Ich muss gestehen, dass ich bis heute keine genaue Vorstellung davon hatte, was mich hier erwarten würde. Ich hatte im Lonely Planet davon gelesen und hab mir gedacht, dass man sich das ja mal ankucken kann. Jetzt sitze ich hier, schreibe Logbuch und bin noch ganz geflasht vom Tag.
Ich glaube ich muss mal ein bisschen weiter ausholen zum Thema Eisberge. Ich habe dazu heute total viel gelernt. Eisberge entstehen, wenn sich das Eis eines Gletschers in ein Gewässer schiebt und dann abbricht. Da gefrorenes Wasser eine geringere Dichte als flüssiges Wasser hat, schwimmt der abgebrochene Eisberg an der Oberfläche, aber nur so gerade. Fast 90% der Masse eines Eisbergs befindet sich unter der Wasseroberfläche, nur etwas mehr als 10% ragt darüber, quasi die Spitze des Eisbergs. Wenn man mit dem Boot um so einen Eisberg herumfährt, dann kann man im klaren Wasser erkennen, wie weit sich der Eisberg unter Wasser noch ausdehnt. Im ersten Bild des Tages sieht man das ein bisschen.
Hier an der Nordostküste Neufundlands sind die Bedingungen ideal, um Eisberge zu sehen. Der Labrador-Strom, eine kalte Meeresströmung, die sich aus der Arktis kommend zwischen Grönland und Kanada in Richtung Süden bewegt, trägt die an der Westküste Grönlands abgebrochenen Eisberge bis Neufundland. Spätestens bei der Umrundung der Ostküste Neufundlands treffen die Eisberge auf warmes Wasser und wärmere Luft und schmelzen. Die Reise der Eisberge von Grönland bis nach Neufundland wird von der Strömung und vom Wind beeinflusst und dauert im Schnitt drei Jahre. Die Eisberge, die ich heute gesehen habe, haben sich also im Frühjahr 2020 auf den Weg gemacht… als der Rest der Welt das Reisen weitgehend eingestellt hat.
Um halb zehn heute morgen war ich am Anleger von Twillingate Adventure Tours. Wir haben eine kurze Einweisung bekommen und dann wurden wir in die Schutzanzüge gesteckt, wie man immer wenn man in kalten Gewässern mit einem Zodiac unterwegs ist. Ich kenne das Prozedere inzwischen zur Genüge, wobei ich sagen muss, dass die Anzüge von Twillingate Adventure Tours die besten waren, in die ich bisher rein musste. Es gab nämlich einen Durchgriff an der Hose, so dass man noch an die eigenen Taschen rankam. Sehr praktisch beim Verstauen des Equipments wie Kamera-Akkus, Reisekaugummis etc. Wobei ich das Superpep immer schon beim Einsteigen einwerfe, damit ich auf jeden Fall keine Probleme bekomme. In der Bucht von Twillingate war das Wasser zwar komplett ruhig, aber es sollte auch raus auf den Atlantik gehen.
Die ersten Eisberge haben wir schon in der Bucht, quasi im Hafen von Twillingate besucht. Die dicken Eisberge laufen hier im flacher werdenden Wasser auf Grund, wenn der Wind sie in die Bucht treibt. Einen so festsitzenden Eisberg erkennt man unter anderem daran, dass er sich nicht mit dem Wasser bewegt, und dass das Wasser ihn an der Wasseroberfläche unterspült. Man kann das im ersten Bild des Tages sehen. So wie die Eisberge vor sich hinschmelzen, brechen sie dann irgendwann auseinander und die Stücke treiben wieder im Wasser. Diese kleineren Eisbrocken – kleiner ist relativ, denn die sind oft immer noch so groß wie ein LKW – nennt man „Growler“, und sie gelten bei den Fischern als besonders gefährlich.
Eine der ersten Fragen, die der Crew unseres Schlauchboots gestellt wurde, war, ob man auf nen Eisberg draufklettern kann. „Viel zu gefährlich“, war die Antwort, denn Eisberge sind sehr instabil, können jederzeit ohne Vorwarnung auseinanderbrechen, rollen oder sich drehen. Deshalb müssen auch die Tourboote einen Sicherheitsabstand halten.
Insgesamt gut anderthalb Stunden sind wir unterwegs gewesen, und die ungefähre Strecke könnt Ihr an der roten Linie auf der Karte nachvollziehen. Leider war das Wetter zu diesem Zeitpunkt noch nicht optimal. Nebelfelder lagen über der Gegend, aber das gibt den Bildern eine ganz eigene Stimmung.
Eine so nahe Begegnung mit einem Eisberg ist echt was besonderes. Wenn man die nur so auf die Entfernung sieht, ist es halt Eis. Aber wenn man näher dran ist, dann entdeckt man total viele Details: Strukturen, die durch das Schmelzen oder Abbrechen entstanden sind, kleine Bäche und Wasserfälle von Tauwasser, Adern von klarem Eis, das schon vor tausenden von Jahren in Spalten des Gletschers gefroren ist und das jetzt dunkelblau schillert… Jeder Eisberg ist wie ein individuelle Kunstwerk, das darüber hinaus sich ständig verändert und vergänglich ist. Auf Bildern kann man das nicht gut einfangen, erst recht nicht, wenn die Sonne nicht scheint und es daher keine Schatten gibt.
Der Skipper und sein Gehilfe wussten viel zu erzählen. So bin ich unter anderem Gewahr geworden, dass das Eis der Eisberge hier zwischen 10.000 und 12.000 Jahre alt ist. Die weiße Farbe kommt von eingeschlossenen Luftbläschen, und deswegen macht schmelzendes Eisbergeis auch ein rauschendes Geräusch, wenn die eingeschlossene, 10.000 Jahre alte Luft freigesetzt wird. Besonders eindrucksvoll haben wir das an dem großen Eisberg erlebt, der am Eingang der Bucht von Twillingate auf Grund gelaufen ist. Hier entstand das zweite Bild des Tages und die Eisbrocken im Wasser gaben ein deutlich fauchendes Geräusch ab. Einen der Brocken hat der Bootsmann mit einem Kescher aus dem Wasser gefischt und am Ende der Tour haben wir jeder einen Beutel mit Eisbergeis geschenkt bekommen. Ich habe mir daher im Dollar-Shop ne fest verschließbare Plastikflasche gekauft, denn ich will versuchen, das 10.000 Jahre alte Wasser mit nach Hause zu nehmen. Nur ein kleines Stück habe ich in den Drink geschmissen, den ich heute Abend zum Sundowner auf dem Deck meines Quartiers eingenommen habe. Das Eisbergeis kann man dafür problemlos verwenden. Schadstoffe gibt es darin keine.
Wieder an Land bin ich in dem Restaurant neben der Anlegestelle zum Mittagessen eingekehrt. Anschließend habe ich im Supermarkt ein bisschen Brot, Käse und Hummus gekauft für einen Abendimbiss und dann gab’s ne kleine Siesta im Quartier.
Am Nachmittag bin ich ein bisschen hier über die Insel gefahren. Es gab sehr schöne Ansichten von Eisbergen von Land aus und tolle Blicke auf die Landschaft, denn inzwischen hatte sich die Sonne komplett gegen den Nebel durchgesetzt. Vor allem am Leuchtturm von Long Point, hoch oben auf den Klippen hatte man einen tollen Blick auf den Nordatlantik. Apropos „Nord“… bei den ganzen Eisbergen könnte man denken, dass ich mich hier sehr weit nördlich befinde. Dabei liegt Newfoundland bis auf die letzten 50km des nördlichsten Zipfels südlicher als Euskirchen. Dass es hier Eisberge gibt ist also vor allem dem Labrador-Strom geschuldet. Dieses Jahr ist übrigens ein sehr gutes Jahr für Eisberge, erzählte der Bootsmann. Letztes Jahr gab es die ganze Saison über genau einen und vorletztes Jahr keinen.
Ihr merkt, der Abstecher nach Twillingate hat sich komplett gelohnt. Ich habe einige ganz neue Erfahrungen und Erlebnisse gemacht und ich kann es auf jeden Fall weiterempfehlen.
Morgen ist ein Fahrtag. Es geht weiter an die Westküste von Newfoundland. Bin mal gespannt, was ich morgen abend berichten kann.

P.S. Wale haben wir keine gesehen, aber die hab ich auch nicht vermisst angesichts der ganzen Action um die Eisberge.


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