Reiselogbuch - 2012 Ukraine
26. Juli 2012
Und da bin ich wieder, mit dem zweiten Teil des Reiselogbuchs in den Sommerferien 2012. Im Moment sitze ich hier in Odessa im Gästezimmer und lasse den Tag Revue passieren. Meine Gastgeber, Georg und Madelene, sind schon seit längerem im Bett. Mein Vetter hat ja keinen Urlaub und muss morgen arbeiten und Madelene hat mit den beiden Jungs Simon und Filip auch nen anstrengenden Job.
Nach über zwei Jahren war es endlich noch mal Zeit für einen Besuch bei den „UNO“-Eichhorns und dieses Mal ging's eben in die Ukraine, genau genommen nach Odessa am Schwarzen Meer. Der Tag hatte es echt in sich für mich, und ich muss sagen, ich glaube ich werde alt.
Mein Flug sollte heute morgen um 6:55 Uhr von Köln über Wien nach Odessa gehen. Ich hatte den Wecker auf zwanzig nach vier gestellt und mir vorgenommen, um 5 Uhr pünktlich los zu fahren, damit ich in Köln keinen Stress hätte. Ein Platz im Parkhaus 3 war schon seit längerem reserviert und als ich um halb sechs mein Auto parkte dachte ich noch, „Klasse, jetzt schön in Ruhe zu Germanwings spazieren und einchecken. Alles stressfrei.“ Wer schon mal vom Parkhaus 3 in Köln zu den Terminals gelaufen ist, der weiß, dass es von dort zum Terminal 2 schon ein guter Weg, aber bis zum Terminal 1 ein richtiger Peatswääch ist, ich würde mal sagen ein guter Kilometer. Um kurz vor 6 war ich mit Einchecken fertig und machte mich auf den Weg zur Sicherheitskontrolle, wo meine Seelenruhe abrupt endete. „Wo ist mein Portemonnaie?“ Mein erster Gedanke war, dass ich es eventuell zu Hause gelassen haben könnte, aber dann fiel mir ein, dass ich mich mit meiner EC-Karte ja an der Schranke vom Parkhaus ausgewiesen hatte. Na klar, reinfahren, EC-Karte verstauen, Portemonnaie auf dem Beifahrersitz, bis in die siebte Etage vom Parkhaus kurbeln, Auto einparken, Stellplatz im Handy notieren, Koffer und Rucksack raus, losmarschieren, und das alles um halb sechs morgens... Also, das Portemonnaie musste auf dem Beifahrersitz liegen. Was nun? Boarding war in 20 Minuten und ich musste ja auch noch durch die Sicherheitskontrolle. Es gab zwei Möglichkeiten (wenn man von der Variante, das Portemonnaie liegen zu lassen und ohne zu fahren absieht, was theoretisch ne Möglichkeit gewesen wäre, denn meine zweite Kreditkarte war im Handgepäck): 1. Mit Rucksack auf'm Buckel die rund 2,5km zum Parkhaus laufen, oder 2. mir ein Taxi nehmen. Ratet mal wofür ich mich entschieden habe... *lach... Für 6,50 Euro hat mich ein verschlafener Kölner Taxifahrer mit Migrationshintergrund zum Parkhaus und wieder zurück gefahren und ich war rechtzeitig zum Einsteigen am Gate... *uff... Wenig mit Ruhm bekleckert dachte ich während des Fluges nach Wien, dass das ja wohl an Pannen für heute reichen würde. Aber weit gefehlt...
Die nächste Episode ereignete sich dann am Wiener Flughafen. Ich hatte problemlos meine Bordkarte für den Weiterflug mit Ukraine International Airlines bekommen und mich dann zum Gate begeben. Vorher gab's natürlich ne Sicherheitskontrolle. Die Abflüge der meisten Flüge nach Ost- und Südosteuropa finden in Wien nicht direkt am Terminal statt, sondern man muss mit dem Bus zum Flugzeug gebracht werden. Auf diesen Bus warten dann in einem deutlich zu klein dimensionierten Warteraum einige hundert Leute, die nach Belgrad, Skopje, Pristina, Chisinau, Kiev oder auch nach Odessa wollen. Immerhin gab's nen kleinen Duty Free Stand, wo ich noch ein bisschen Schottenschnaps als Gastgeschenk einkaufen wollte. Was kein Problem war, bis mich die Verkäuferin bat, „Zeigen Sie mir bitte Ihre Bordkarte“. Hmmmmm... jaaaaaa... öhmmm... die konnte nur an der Sicherheitskontrolle liegengeblieben sein. Wieder Mist. Ich zurück und bekam auch glücklicherweise sofort meine dort gefundene Bordkarte ausgehändigt. Was war passiert? Der Sicherheitskontrolleur hatte meine Bordkarte in das Tablett, womit der Kleinkram aus den Taschen zum Röntgen fährt gelegt, und da habe ich sie beim Einpacken meiner Habseligkeiten liegen gelassen... Ihr merkt schon, heute war so überhaupt nicht mein Tag. Und er war noch nicht zu Ende. Allerdings war ich an der dritten Episode echt unschuldig und nur das Opfer.
Als mein Flug aufgerufen wurde dachte ich beim Anblick der Schlange, dass ich eventuell Glück haben könnte und der Flug wäre nicht voll. Ich hatte einen Platz in der vorletzten Reihe am Fenster, eigentlich absolut perfekt. Da ich als einer der letzten in den Transfer-Bus eingestiegen war, war ich als einer der ersten im Flieger und saß bald auch an Ort und Stelle. Wenig später kam ein weiterer Passagier, vermutlich ein Amerikaner mit etwas dunklerem Teint und recht mobbeliger Statur und setzte sich auf den Platz am Gang. Vielleicht hätte ich in dem Moment nicht denken sollen „Gut, dass er nicht neben mir sitzt, sonst wär's was eng geworden.“ Hab ich aber und wurde prompt dafür bestraft. Der Flieger war nämlich doch rappelvoll und mit den letzten Passagieren stieg ein großer, kräftiger, bierbauchiger Mann mit Glatze ein – wenn man einen ukrainischen Neo-Nazi beschreiben müsste, dann sähe er so aus – und kam zielstrebig auf meine Reihe zu. Ich habe also die anderthalb Stunden Flug von Wien nach Odessa auf beiden Seiten Berührungspunkte gehabt, auf der linken Seite mit der Flugzeugkabinenwand und rechts... aber lassen wir das...
In Odessa haben mich Madelene und Simon dann vom Flughafen abgeholt und wir sind in die Stadt gefahren. Erste Eindrücke gab es schon beim Spaziergang zum Restaurant, wo wir fünf heute abend essen waren, aber ich denke über Odessa kann ich morgen deutlich mehr erzählen. Als Bild des Tages gibt es heute einen ersten Blick auf die Stadt kurz vor der Landung, mit dem Schwarzen Meer im Hintergrund.
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27. Juli 2012
Mein erster Tag in Odessa. Ich durfte ausschlafen, während Vetter Schorsch zur Arbeit fuhr und Madelene Simon in den Kindergarten gebracht hat. Als sie wieder zu Hause war habe ich gemütlich gefrühstückt und wir haben noch ein bisschen hier gesessen und erzählt. Gegen 12 Uhr haben wir dann Filip in den Kinderwagen gepackt und sind zu Fuß los, um Simon im Kindergarten abzuholen.
Ich muss sagen, der Filip ist echt ein tolles Baby. Immer gut gelaunt, es sei denn er hat Hunger oder seine Misserfolge beim Krabbeln üben frustrieren ihn mal wieder (wobei ich sagen muss, dass er die Sache mit sehr viel Energie und Geduld angeht). Ich hab den Kinderwagen geschoben und wir sind zuerst zu dritt, und nachher mit Simon im Buggy zu viert durch Odessa spaziert.
Erster Eindruck: die Stadt ist sehr grün. Die Mehrzahl der Straßen ist von großen alten Bäumen gesäumt, die den Blick auf die barocken Fassaden der Häuser teilweise verdecken. Der Zustand der Häuser ist allerdings durchwachsen. Man fühlt sich ein bisschen nach Ostdeutschland zwei, drei Jahre nach der Wende versetzt. An einigen Stellen sind die alten Stadthäuser schon schön renoviert, an anderen Stellen bestimmen Bauzäune das Bild, und an sehr vielen Stellen bröckeln noch Putz, Stuck und Balkone. Auch die Bürgersteige sind von holperig und löchrig bis hin zu schick neu gepflastert in jedem denkbaren Zustand. Eines ist aber sicher. Wenn die Stadt erst mal durchgehend auf Vordermann gebracht ist, dann ist sie ein echtes Schmuckstück und spätestens dann garantiert ne Städte-Reise wert.
Schon gestern bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt hab ich mir gedacht, dass ich so eine Stadt wie Odessa bisher noch nicht gesehen habe. Wie Ihr ja wisst ist es meine erste Begegnung mit Osteuropa und dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Mein Versuch mit Vergleichen zu arbeiten war schon nach ner halben Stunde gescheitert. Es erinnert weder an West- noch Südeuropa oder den Nahen Osten, und in Übersee findet sich irgendwie auch nix Vergleichbares. Wie typisch Odessa jetzt für die Ukraine ist weiß ich nicht, aber ich vermute, dass sich das in Grenzen hält. Als relativ weltoffene Hafenstadt ticken hier die Uhren bestimmt schon ein bisschen anders als im Rest des Landes. In Odessa wird übrigens überwiegend Russisch gesprochen. Beschilderungen sind in Ukrainisch und Russisch und beides kann man mit Mühe lesen, wenn man ein bisschen das griechische bzw. das kyrillische Alphabet drauf hat. Viel mehr weiß man dann aber in der Regel auch nicht und verstehen tu ich die Leute hier sowieso kein bisschen.
Die Leute, mein nächstes Stichwort. Die Odessiten wirken auf mich ziemlich entspannt und nicht so ex-ostblock-verkniffen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Der Hochsommer mag dazu beitragen, dass die Stimmung eher gelöst ist, aber ich habe mich heute bei unserem Spaziergang kein bisschen unwohl gefühlt.
Beim Thema Leute fällt mir noch was anderes ein. Wer sich ein bisschen mit Biologie auskennt, hat wahrscheinlich schon mal den Begriff Geschlechtsdimorphismus gehört. Damit bezeichnet man die äußerlichen Unterschiede zum Beispiel bei männlichen und weiblichen Vögeln. Bei Vögeln sind in der Regel ja die Männchen bunter und prächtiger gefiedert als die Weibchen. Bei den Odessiten ist es umgekehrt. Die deutliche Mehrheit der Frauen, egal welchen Alters, macht sich ganz offensichtlich viele Gedanken über ihr Erscheinungsbild und das, was sie anziehen. Der männliche Odessit begnügt sich dagegen mit Schlabbelshorts, T-Shirt oder schulterfreiem Muskelshirt und Plastikschlappen. Alternativ werden auch Flipflops getragen, wohingegen das Tragen von T- und anderen Shirts eher optional ist. Männermodemäßig scheint das hier tiefstes Missionsgebiet zu sein.
Und damit zurück zu unserem heutigen Stadtrundgang. Madelene, Simon, Filip und ich haben in der Fußgängerzone im Lieblingscafe der Eichhorns eine ausführliche Mittagspause gemacht und sind dann weiter spaziert, vorbei an der Statue von Katharina der Großen, dem oberen Ende der Potemkinschen Treppe (die von unten eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Odessa ist, aber von oben eher unspektakulär wirkt), dem Rathaus und der Oper. Um halb fünf waren wir wieder zu Hause und entsprechend platt, wobei die Jungs schon ein paar Ströphchen in ihren jeweiligen Kinderwagen geschlafen hatten. Heute abend haben wir schön gegrillt auf einem der Balkone, die zur Wohnung der Eichhorns gehören, bei 30 Grad plus X. Hier ist RICHTIG Sommer.
Morgen werden die drei großen Männer, Georg, Simon und ich, einen auf kalte Krieger machen. Ich will noch nicht zu viel verraten, aber dass Mütter, Oma und Großtante nicht vom Programm begeistert sein werden, da bin ich mir ziemlich sicher.
Als Bild des Tages gibt es heute einen Blick in die Fußgängerzone von Odessa, und nachdem ich eben viel getönt habe zum hiesigen Modenotstand ist mir beim erneuten Betrachten des Fotos aufgefallen, dass man darauf so gut wie keine Shorts oder Flipflops erkennen kann. Aber glaubt mir, es ist hier echt auffällig.
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29. Juli 2012
Sonntag... ein fauler Sonntag um genau zu sein. Es begann mit nem gemütlichen Frühstück und ein bisschen Rumgammeln und Olympiakucken hier bei den Eichhorns zu Hause. Gegen halb eins sind wir dann zu fünft mit Simon im Buggy und Filip im Kinderwagen losgezogen und in die Innenstadt spaziert.
Odessa ist, wie ich glaube ich schon erwähnt hatte, sehr grün. Das macht die Stadt einerseits natürlich sehr ansehnlich, andererseits erschweren die Bäume aber das Fotografieren. Die Stadt ist weitgehend schachbrettartig angelegt, was nicht weiter verwundert, denn alt ist die Stadt nicht. Erst 1794 wurde sie auf Anweisung der russischen Zarin Katharina der Großen gegründet. Man findet sich also ganz gut zurecht. Nach dem späten Frühstück haben wir im Eichhorn-Stamm-Café in der Fußgängerzone einen späten Imbiss genommen und waren dann um kurz vor vier am Platz oberhalb der Potemkinschen Treppe. Dort sollte es nämlich um vier eine kostenlose zweistündige Stadtführung für jedermann auf Englisch geben. Das hatte Madelene schon vor einiger Zeit bei der Tourismus-Information in Erfahrung gebracht. Wie sich allerdings um vier Uhr herausstellte hatte sich für heute ein größere Gruppe vorangemeldet, und deswegen gab es heute die Führung auf Russisch. Na toll. Mein Kyrillisch lesen wird zwar langsam besser, aber Russisch verstehen? Geht nicht. Ich glaube von uns allen hätte Simon noch am meisten von einer auf Russisch veranstalteten Stadtführung verstanden. Wir haben also auf die Führung verzichtet, was uns angesichts der strammen Temperaturen auch nicht so schwer gefallen ist. Georg, Simon und ich sind allerdings trotz Hitze noch die Potemkinsche Treppe runter gegangen und nachher mit der Standseilbahn wieder hoch. Tja, was soll ich sagen? Obwohl die Potemkinsche Treppe als eine der Hauptsehenswürdigkeiten Odessas gilt ist sie in meinen Augen doch ziemlich überbewertet. Mag ja sein, dass sie architektonisch durch ihre perspektivische Konstruktion ganz eindrucksvoll ist, aber davon merkt man wenig wenn man oben oder unten steht. Dazu kommt, dass sich nicht nur viele Menschen drauf tummeln sondern auch Nippesverkaufsstände und Fotografen. Und unten geht ne vielbefahrene Straße vorbei. Die Treppe ist übrigens nicht nach dem russischen Fürsten Potemkin benannt, sondern nach dem Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ von 1925, in dem sie vorkommt. Insgesamt geht mein Urteil über die Treppe allerdings eher in die Richtung von „Okayyy, das ist sie also... hmmm... na gut...“ Aus diesem Grund habe ich dann auch drauf verzichtet, ihr das Bild des Tages zu gönnen, noch dazu, wo am Nachmittag die Sonne genau hinter der Treppe steht und das Licht einfach schlecht zum fotografieren war.
Nach der nicht stattgefundenen Stadtführung sind wir also einfach wieder nach Hause spaziert und haben heute Abend gegrillt anstatt ukrainisch essen zu gehen. Das wurde auf morgen verschoben, denn morgen ist schon mein letzter Tag hier. (Naja, ein paar Stunden hab ich noch am Dienstag, aber da wird kein Programm mehr sein, vor allem weil Georg ja arbeiten muss.)
Als Bild des Tages gibt es heute etwas was typisch für Odessa ist, eines der vielen tollen Gebäude, denen man hier auf Schritt und tritt begegnet. In diesem Fall ist es das Archäologische Museum, das, wie Ihr unschwer sehen könnt, schön renoviert ist. Ähnlich gut sehen auch schon die Oper oder das Rathaus aus. Die Mehrzahl der Gebäude wartet allerdings noch auf die Restaurierung und in der Zwischenzeit bröckeln Putz und Stuck munter weiter. Aber genauso wenig, wie Rom an einem Tag erbaut wurde, wird man Odessa an einem Tag renovieren können. Das braucht Zeit und man fängt hier ja grade erst mit der Arbeit an.
Morgen früh gehe ich mit Madelene und Filip an den Strand. Am letzten Tag will ich zumindest mal das Schwarze Meer aus der Nähe gesehen haben. Vielleicht ist das auch schon ne Prognose für das Bild des Tages morgen.
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29. Juli 2012
Sonntag... ein fauler Sonntag um genau zu sein. Es begann mit nem gemütlichen Frühstück und ein bisschen Rumgammeln und Olympiakucken hier bei den Eichhorns zu Hause. Gegen halb eins sind wir dann zu fünft mit Simon im Buggy und Filip im Kinderwagen losgezogen und in die Innenstadt spaziert.
Odessa ist, wie ich glaube ich schon erwähnt hatte, sehr grün. Das macht die Stadt einerseits natürlich sehr ansehnlich, andererseits erschweren die Bäume aber das Fotografieren. Die Stadt ist weitgehend schachbrettartig angelegt, was nicht weiter verwundert, denn alt ist die Stadt nicht. Erst 1794 wurde sie auf Anweisung der russischen Zarin Katharina der Großen gegründet. Man findet sich also ganz gut zurecht. Nach dem späten Frühstück haben wir im Eichhorn-Stamm-Café in der Fußgängerzone einen späten Imbiss genommen und waren dann um kurz vor vier am Platz oberhalb der Potemkinschen Treppe. Dort sollte es nämlich um vier eine kostenlose zweistündige Stadtführung für jedermann auf Englisch geben. Das hatte Madelene schon vor einiger Zeit bei der Tourismus-Information in Erfahrung gebracht. Wie sich allerdings um vier Uhr herausstellte hatte sich für heute ein größere Gruppe vorangemeldet, und deswegen gab es heute die Führung auf Russisch. Na toll. Mein Kyrillisch lesen wird zwar langsam besser, aber Russisch verstehen? Geht nicht. Ich glaube von uns allen hätte Simon noch am meisten von einer auf Russisch veranstalteten Stadtführung verstanden. Wir haben also auf die Führung verzichtet, was uns angesichts der strammen Temperaturen auch nicht so schwer gefallen ist. Georg, Simon und ich sind allerdings trotz Hitze noch die Potemkinsche Treppe runter gegangen und nachher mit der Standseilbahn wieder hoch. Tja, was soll ich sagen? Obwohl die Potemkinsche Treppe als eine der Hauptsehenswürdigkeiten Odessas gilt ist sie in meinen Augen doch ziemlich überbewertet. Mag ja sein, dass sie architektonisch durch ihre perspektivische Konstruktion ganz eindrucksvoll ist, aber davon merkt man wenig wenn man oben oder unten steht. Dazu kommt, dass sich nicht nur viele Menschen drauf tummeln sondern auch Nippesverkaufsstände und Fotografen. Und unten geht ne vielbefahrene Straße vorbei. Die Treppe ist übrigens nicht nach dem russischen Fürsten Potemkin benannt, sondern nach dem Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ von 1925, in dem sie vorkommt. Insgesamt geht mein Urteil über die Treppe allerdings eher in die Richtung von „Okayyy, das ist sie also... hmmm... na gut...“ Aus diesem Grund habe ich dann auch drauf verzichtet, ihr das Bild des Tages zu gönnen, noch dazu, wo am Nachmittag die Sonne genau hinter der Treppe steht und das Licht einfach schlecht zum fotografieren war.
Nach der nicht stattgefundenen Stadtführung sind wir also einfach wieder nach Hause spaziert und haben heute Abend gegrillt anstatt ukrainisch essen zu gehen. Das wurde auf morgen verschoben, denn morgen ist schon mein letzter Tag hier. (Naja, ein paar Stunden hab ich noch am Dienstag, aber da wird kein Programm mehr sein, vor allem weil Georg ja arbeiten muss.)
Als Bild des Tages gibt es heute etwas was typisch für Odessa ist, eines der vielen tollen Gebäude, denen man hier auf Schritt und tritt begegnet. In diesem Fall ist es das Archäologische Museum, das, wie Ihr unschwer sehen könnt, schön renoviert ist. Ähnlich gut sehen auch schon die Oper oder das Rathaus aus. Die Mehrzahl der Gebäude wartet allerdings noch auf die Restaurierung und in der Zwischenzeit bröckeln Putz und Stuck munter weiter. Aber genauso wenig, wie Rom an einem Tag erbaut wurde, wird man Odessa an einem Tag renovieren können. Das braucht Zeit und man fängt hier ja grade erst mit der Arbeit an.
Morgen früh gehe ich mit Madelene und Simon an den Strand. Am letzten Tag will ich zumindest mal das Schwarze Meer aus der Nähe gesehen haben. Vielleicht ist das auch schon ne Prognose für das Bild des Tages morgen.
28. Juli 2012
Heute haben die drei größeren Jungs, die aktuell zum Eichhorn-Haushalt in Odessa gehören, einen Tagesausflug gemacht. Madelene und Filip hatten einen Mutter-Kind-Tag zu Hause und angesichts unseres Ausflugsziels wundert es nicht so sehr, dass Madelene lieber zu Hause bleiben wollte.
Georg und ich haben heute unseren militärhistorischen und wehrtechnischen Interessen gefrönt und sind mit Simon zum Strategic Missile Forces Museum in der Nähe von Permowajsk im Verwaltungsbezirk Mikolajiw gefahren. Dazu ging's erst mal nach Norden auf die Autobahn Richtung Kiev. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass mein Besuch hier eher eine Städtereise werden würde, aber heute sind wir ganz schön durch's Land gefahren – von Odessa zum Museum sind's knapp 250km – und ich habe einiges von der südwestlichen Ukraine gesehen. Die Landschaft ist eher unspektakulär. Welliges Land, wie in Teilen der USA oder im östlichen Highveld Südafrikas, mit sehr viel Landwirtschaft. Schwarzer, fruchtbarer Boden, der riesige Felder mit Mais, Sonnenblumen oder Melonen trägt. Das Getreide ist hier schon rein. Nach rund dreieinhalb Stunden Fahrt (mit Pausen) standen wir am Museum auf dem Parkplatz, haben Mittagspicknick gemacht und auf Lena gewartet, die englischsprechende Führerin, die Georg organisiert hatte. Um kurz nach zwölf kam sie und dann ging's rein ins Museum.
Das Strategic Missile Forces Museum dokumentiert ein wichtiges Kapitel im Kalten Krieg - nukleare Abschreckung. Hier in der Nähe von Permowajsk befand sich eine Siloanlage für sowjetische Interkontinentalraketen. Ab 1975 waren hier zunächst Atom-Raketen des Typs SS-19 Stiletto und ab 1989 dann SS-24 Scalpel stationiert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die ehemals sowjetischen Kernwaffen von der Ukraine nach Russland zurückgebracht. Die letzte SS-24 wurde 2001 aus Permowajsk abgezogen und dann begann man damit, die ehemaligen Raketensilos zu sprengen und deren Gelände wieder in landwirtschaftliche Nutzflächen zu verwandeln. Silobasierte Abschussrampen für Raketen bestehen normalerweise aus einem weit verstreuten Komplex mit einem Kommandozentrum und 10 bis 15km von einander entfernten Positionen der einzelnen Raketen, um die Stellungen weniger verwundbar für Angriffe zu machen. In Permowajsk ist es ein bisschen anders, denn hier befindet sich ein Abschusssilo nur wenige hundert Meter vom Kommandozentrum. Dadurch war die Anlage hier prädestiniert dafür, sie für die Nachwelt zu erhalten und öffentlich zugängig zu machen.
Unsere Tour begann erst in den Ausstellungsräumen des Museums. Man merkt schon, dass hier noch nicht viel dran getan worden ist, nicht zuletzt, weil es an Interesse seitens der Regierung in Kiev und dadurch auch an Geld fehlt. Die Beschriftungen sind auch alle in Russisch und/oder Ukrainisch. Als nächstes ging's in die Kommandozentrale. Hier saßen immer zwei Offiziere in einem Bunker, der 45m tief in die Erde reichte, und waren bereit, die Raketen zu starten, wenn der richtige Code per Telefon aus Moskau kam.
Im Sommer 2002 habe ich eine vergleichbare Anlage der Amerikaner in der Nähe von Rapid City, South Dakota, besucht. Was mir hier bei dem russischen Pendant am meisten auffiel war die eher dürftige handwerkliche Ausführung der Anlage. Die unterirdischen Korridore waren krumm und schief mit unebenen Böden und die elektrischen Leitungen lagen einfach auf Regalstangen, die in die Wände gedübelt waren. Trotzdem konnte man von hier millionenfachen Tod bis ans andere Ende der Welt schicken. Das ganze hatte schon etwas sehr Surrealistisches, besonders der Wohnbereich für die diensthabenden Soldaten in 45m Tiefe. Klappbetten, ein Klo wie in einem alten Eisenbahnwaggon, eine Kochplatte und ein Samowar. Der hat es auch zum Bild des Tages geschafft. Ein Stück totaler russischer Normalität an diesem Ort, der für das Undenkbare konstruiert war, und wo Männer nur für den einen Zweck saßen, nämlich im Ernstfall auf einen kleinen grauen Knopf zu drücken, um zehn Atomraketen mit insgesamt 100 Sprengköpfen zu starten.
Nach der Kommandozentrale hat uns Lena noch über der Erde rund geführt und die Spezial-LKWs für den Transport der Raketen, sowie die ausgestellten Panzer, Geschütze und natürlich auch Raketen gezeigt. Das Silo mit dem 120 Tonnen schweren Deckel aus Stahl und Paraffin-Wachs (genau... zum Schutz gegen radioaktive Strahlung) haben wir ebenfalls gesehen. In der Raketensammlung gab es übrigens keine SS-24. Die Russen haben alle Exemplare des zuletzt hier stationierten Raketentyps mit genommen bzw. von der Ukraine zurück bekommen.
Als wir heute morgen losgefahren sind, waren der Schorsch und ich eher von ner Stunde im Museum ausgegangen. Am Ende waren es dann aber drei. Alles echt spannend. Gegen drei Uhr sind wir dann wieder in Richtung Odessa aufgebrochen und haben dabei unsere Führerin Lena mit ins ca. 25km entfernte Permowajsk genommen. Und dann ging's auf der gleichen Strecke wieder zurück ans Schwarze Meer. Simon hat dabei die meiste Zeit im Kindersitz gepennt. Der Tag war echt anstrengend für ihn, aber er hat sich super geschickt und wurde auch von Lena sehr gelobt. Die meinte, dass sie von Kleinkindern eigentlich ganz andres gewohnt wäre
Morgen ist wieder Programm in Odessa. Am Nachmittag werden wir an einer der Stadtführungen, die das Tourismus-Büro anbietet, teilnehmen. Die haben die Eichhorns auch noch nicht gemacht.
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30. Juli 2012
Mein letzter ganzer Tag in Odessa. Morgen Nachmittag geht es schon zurück in Richtung Heimat. Georg musste heute natürlich wieder arbeiten und für Simon war wieder Kindergarten angesagt. Madelene, Filip und ich haben in Ruhe gefrühstückt, nachdem Madelene vom Kindergarten zurück war, und dann wurde Filip in den Kinderwagen gepackt und wir sind spazieren gegangen. Am Schewchenko-Park und dem Krieger-Ehrenmal vorbei Richtung Schwarzes Meer.
Das Krieger-Ehrenmal ist ein Obelisk, der von zwei Schülern und zwei Schülerinnen in Uniform bewacht wird. Ich vermute mal, dass in der Nähe ne Kadetten-Schule ist. Die Pänz haben niedlichst versucht zu marschieren und hielten sich auch tapfer an den Holzgewehren fest, die sie zur Verfügung gestellt bekommen hatten. Aber von ernsthaftem Wache stehen konnte natürlich nicht die Rede sein. Da wurde auch mal gelacht und sich umgekuckt.
Danach ging unser Spaziergang weiter in Richtung Strand. Odessa hat etliche Kilometer Strand. Um da hin zu kommen muss man allerdings erst mal vom Berg runter. Die Stadt liegt nämlich auf einem Hochplateau, so zwischen 30m und 50m über dem Niveau des Schwarzen Meers. Odessa hat zwar einen der größten Häfen am Schwarzen Meer, aber man kann kein bisschen davon reden, dass die Stadt dem Meer zugewandt wäre. Die Lage auf dem Hochplateau mag dazu beitragen. Hier gibt es keine Uferpromenade oder einen Hafen, wo man Schiffe kommen und gehen sieht. Ins Hafengelände kommen nur die LKWs rein und am Fuß des Abhangs gibt es entweder direkt am Meer vorbei die Straße, oder eben, wie im Süden der Stadt, Parks und dann den Strand. Das Schwarze Meer kann man also in Odessa nicht wirklich hautnah erleben, es sei denn man mischt sich unter die Ukrainer und die russischen Touristen, die sich hier in die Fluten stürzen... nur wenige hundert Meter von den Stellen, wo sich die Abwässer der Millionenstadt ungeklärt ins Schwarze Meer ergießen. Die Wasserqualität soll hier sehr gering sein, aber wie Ihr dem Bild des Tages entnehmen könnt, ist man davon unbeeindruckt. Madelene hat mir erzählt, dass die Leute hier auch in Massen geschwommen sind, als vor einiger Zeit nach schweren Unwetter ausdrücklich vor dem Baden gewarnt wurde, auf Grund der schlechten Wasserqualität.
Ich habe also nicht wirklich schweren Herzens darauf verzichtet, mal meine Füße ins Schwarze Meer zu halten (mehr tu ich an nem Strand ja sowieso nicht). Wir sind ein bisschen am Strand entlang spaziert und haben uns dann wieder auf den Heimweg gemacht, mit ein paar Schlenkern durch den eher wilden Schewchenko-Park. Es wurde auch langsam Zeit, denn Madelene musste Simon vom Kindergarten abholen. Während sie weg war habe ich Filip gesittet, ein bisschen Hänneschen mit ihm gemacht und nebenbei Olympia gekuckt.
Um kurz nach fünf bin ich shoppen gegangen... Naja – nicht so richtig shoppen, aber ich habe in einem Kiosk dreihundert Meter die Straße runter vier Flaschen „Piwo Ukrainski“ für den Export nach Deutschland gekauft. Die beiden Sorten hatten Georg und ich gestern Abend getestet und als durchaus trinkbar eingestuft. Grundsätzlich gibt es zwar echt viele Biersorten, allerdings ist die ukrainische und/oder kyrillische Beschriftung nicht dazu angetan, die Kauflaune zu steigern. Man kann nicht mal die Inhaltsstoffe lesen.
Um halb sechs haben wir Georg von der Arbeit abgeholt und sind ukrainisch essen gewesen. Sehr schmackhaft, aber wie mein Vetter sehr treffend bemerkte eigentlich nicht die richtige Küche für so ne Hitze. Das eher gehaltvolle Essen passt eher zu Temperaturen von 10 Grad und darunter, und nicht so sehr zu 30 Grad plus X. Aber wie gesagt, sehr lecker.
Den Abend haben wir dann mit erzählen, Olympia kucken und ukrainischem Wodka verbracht. Nachdem die Eichhorns alle im Bett waren habe ich noch den Koffer gepackt. Der ist jetzt deutlich leerer als auf der Hinfahrt... *lach... Morgen bringt mich Madelene dann am frühen Nachmittag zum Flughafen. Eingecheckt bin ich schon. Ich hoffe, dass der Online-Check-in bei Ukraine International Airlines auch wirklich funktioniert. Morgen Abend gibt es dann ein letztes Logbuch, vorausgesetzt UIA und Austrian Airlines, die mich von Wien weiter nach Köln bringen soll, arbeiten sauber.
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