30. Juli 2019

Ich weiß nicht, ob Ihr das kennt… das Gefühl wenn man sich denkt „Ob ich da jemals hinkomme“ und plötzlich ist man da. Ich bin in Yellowknife, der Hauptstadt der Northwest Territories, am Nordufer des Großen Sklavensees gelegen, dem zwölftgrößten See der Welt und mit bis zu 614m dem tiefsten See Nordamerikas.
Es ist 21 Uhr und draußen ist es taghell. Yellowknife liegt auf dem gleichen Breitengrad wie die Färöer-Inseln. Ich wollte hier schon immer mal hin. Die Northwest Territories sind vier mal so groß wie Deutschland oder ein bisschen größer als Südafrika, aber hier leben noch nicht mal 50.000 Leute, und ungefähr die Hälfte davon hier in Yellowknife. Yellowknife ist nicht schön. Straßen im Schachbrettmuster, Zweckbauten, ein paar „Hochhäuser“… Mein Hotel, „The Explorer Hotel“ hat was von nem Plattenbau. Ich sitze gerade in der Lounge, das lokal hergestellte Bier (ja, auch hier gibt es ne Brauerei) schmeckt super und ein Gasfeuer brennt in dem künstlichen offenen Kamin. Sehr amerikanisch irgendwie, auch wenn die Kanadier das nicht gerne hören werden. Dabei war es heute draußen immerhin noch T-Shirt- wenn auch nicht Kurze-Hosen-warm. Im Fernsehen läuft das Baseballspiel zwischen den Toronto Blue Jays und den Kansas City Royals und ich fühle mich gerade etwas an meine Reise nach Neufundland mit Oma Käthe erinnert, als ich in Corner Brook oder Gander in der Hotelbar saß, die Jays im Fernseher beobachtete und versuchte, dieses Spiel zu verstehen. Damals begann meine Liebe zum Baseball.
Warum bin ich hier in der Mitte von Nirgendwo? Als ich mein Sommer-Abenteuer 2019 geplant habe war mir schon klar, dass ich nach 16 Jahren noch mal auf meinen Spuren wandeln wollte und eine klassische Tour durch British Columbia und die Rockies machen wollte. Aber ein bisschen was Neues sollte ja auch dabei sein. Okay, ich hätte mir für den ersten Teil der Reise mehr Zeit lassen können. Aber dann habe ich mir gedacht, dass ich mir zu meinem runden Geburtstag etwas Außergewöhnliches gönne. Und der außergewöhnliche Teil hat heute begonnen. (An dieser Stelle sollte ich vielleicht kurz erwähnen, dass ich EIGENTLICH zu meinem 50sten auf die Galapagos-Inseln wollte. Es ist dann doch noch außergewöhnlicher geworden.)
Was zieht mich hier in die Gegend? Diejenigen von Euch, die mich schon lange kennen, die wissen, dass ich früher mal Pilot werden wollte. Okay, da war die Idee von den Boeings und den Airbussen und den McDonnell-Douglas-Maschinen und in schicker Uniform bei der Lufthansa arbeiten. Aber ich habe auch, im Zusammenhang mit ‚Pilot werden‘ ernsthaft von ‚BUSCH-Pilot werden‘ geträumt. Busch-Pilot bedeutet nicht unbedingt Australien oder Afrika. Busch-Pilot sein findet auch hier statt, im kanadischen Norden. Luftfahrt ist mittlerweile mein wichtigstes Hobby und die diversen Fachzeitschriften, die monatlich in meinem Briefkasten landen, bringen einen dann schon auf die eine oder andere Idee. Also, warum bin ich hier? Zum einen um mal zu kucken, ob es hier noch „frontier spirit“ gibt, das Gefühl am Ende der Zivilisation und am Beginn der Wildnis zu sein. Und außerdem, um mich mit Busch-Fliegerei zu beschäftigen. Morgen werde ich dazu etwas ausführlicher werden.
So, genug philosophiert. Ich hoffe, das lokale Bier hat das Logbuch gerade nicht zu sehr aus der Kurve geworfen. Also, zum Tag heute.
Der Vormittag in Vancouver war ziemlich gemütlich. Ich habe mein Gepäck fertig gepackt, im Holiday Inn ausgecheckt und bin dann Richtung Flughafen gefahren. Das obligatorische Starbucks-Frühstück wurde organisiert, der Yaris wurde ein letztes Mal vollgetankt und dann gab es einen kurzen, schmerzlosen Abschied von dem kleinen, weißen Toyota, der mich von Victoria an 3581km gut gefahren hat.
Auf die beiden Flüge heute war ich schon sehr gespannt gewesen. Eine neue Fluggesellschaft stand heute an, und ein neuer Flugzeugtyp. WestJet ist die zweitgrößte Fluggesellschaft Kanadas. Ich war schon immer ein Fan der Underdogs in der kanadischen Luftfahrtszene und habe es sehr bedauert, als der Platzhirsch Air Canada im Jahr 2000 die Nummer zwei in der kanadischen Luftfahrt, Canadian Airlines (vormals CP Air bzw. Canadian Pacific Airlines und Pacific Western Airlines) geschluckt hat. Der neue Flugzeugtyp heute war die Boeing 737-600, das kleinste Mitglied der 737-Next Generation-Familie, und übrigens das gesuchte Muster im Luftfahrterkennungsrätsel für den Juni 2019 (in den Farben von WestJet wohlgemerkt). Die 737-600, als Konkurrenz zum Airbus A318-100, dem kleinsten Modell in der A320-Familie, entwickelt, hat sich nicht besonders gut verkauft (wie auch der A318 nicht). Gerade mal 69 Stück wurden produziert. Hauptkunden der 737-600 waren WestJet und SAS Scandinavian Airlines. Ich hatte nicht mehr wirklich damit gerechnet, mal in einer 737-600 zu sitzen, weil sie bei SAS schon langsam ausgemustert werden. Bei WestJet sind sie zwar noch im Einsatz, aber als ich die Flüge für heute gebucht habe, da war noch eine 737-700 eingeplant gewesen (was mir auch sehr recht gewesen wäre). WestJet hat aber dann relativ kurzfristig die -600 für meinen Flug eingesetzt und so konnte ich heute einen neuen Flugzeugtyp in meine persönliche Liste aufnehmen.
Das Umsteigen in Calgary (ein neuer Flughafen für mich) ging kurz und schmerzlos. Dann kam meine zweite Etappe mit WestJet, dieses Mal in einer Bombardier DHC-8-Q400. Mit diesem Flugzeugtyp hatte ich schon einiges an Erfahrung (bei Air Berlin, SATA Açores und Flybe). Nichtsdestotrotz war das heute mit zwei Stunden siebenundzwanzig der längste Flug, den ich je mit einer Propellermaschine gemacht habe.  Er war übrigens ziemlich angenehm, weil der Platz neben mir frei war. Außerdem sind Turboprop-Flugzeuge heutzutage nicht mehr die Qual wie früher.
Der Flug von Calgary nach Yellowknife war unruhig und ich habe mir schon Sorgen wegen des Wetters gemacht, aber nachdem wir das Südufer des Großen Sklavensees erreicht hatten waren die Wolken weg, und ich hoffe, dass das auch die nächsten drei Tage so bleibt.
Morgen früh werde ich mal ins Städtchen gehen (oder fahren… je nachdem) und dann habe ich um 13:00 Uhr eine Führung bei Buffalo Airways. Dazu morgen mehr. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht (ich sitze inzwischen in meinem Zimmer und nicht mehr in der Hotelbar) und draußen ist es immer noch noch nicht richtig dunkel. Das wird ein schöner Spaß, wenn ich ab Freitag nördlich des Polarkreises bin…
Noch kurz zu den Bildern des Tages. Das erste zeigt, wie der Samsonite in Calgary in den Flieger nach Yellowknife geladen wird. Ich hatte mir da ein bisschen Sorgen gemacht, denn ich hatte nur ne gute Dreiviertelstunde zum Umsteigen in Calgary. Aber das Gepäck ist da. Das zweite Bild ist der Blick auf Yellowknife kurz vor der Landung. Das, was man hier Downtown nennt, ist links hinten zu sehen, wo die hohen Häuser stehen.

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