14. Juli 2023

Ich bin auf’m Schiff. Die MV Atlantic Vision bahnt sich gerade ihren Weg durch den Neufundlandnebel in Richtung Argentia. Das Nebelhorn tönt, das Schiff bewegt sich sanft im Wellengang und mein Bett, auf dem ich gerade sitze, wackelt etwas durch die Vibrationen des Schiffs. Ich überlege gerade, wie oft ich schon auf einem richtig großen Schiff übernachtet habe. Genau bekomme ich es nicht zusammen, ob es das fünfte oder das siebte Mal ist. Sicher ist aber, dass das letzte Mal auch bei der Überquerung der Cabot Strait war, 1991 als ich mit der Oma in umgekehrter Richtung auf dem Weg von Neufundland nach Nova Scotia auch auf der Fähre übernachtet habe. Das Schiff damals war der Vorgänger meines aktuellen Schiffs. Die Atlantic Vision wurde die 2002 bei der HDW in Kiel gebaut und genau wie die MV Fundy Rose, die mich vor einer Woche von Saint John nach Digby gebracht hat, fuhr sie zuerst in Griechenland, bevor sie an Marine Atlantic verkauft wurde. Die MV Atlantic Vision ist ein schönes Schiff und auch innen drin ziemlich schick. Die Kabine, in der ich reise, würde jedem Hotelzimmer zur Ehre gereichen. Als ich im Januar die Buchungen für meine Kanada-Tour gemacht habe, stellte sich die Frage ob es ne Kabine sein sollte, nicht wirklich. Bei 16 Stunden Überfahrt, noch dazu über Nacht, wollte ich irgendwo mein Haupt betten. Für mich, der ich allein unterwegs bin, macht der Aufpreis von ner normalen Kabine mit zwei Etagenbetten zu ner Deluxe-Kabine mit nem Queensize-Bett keinen großen Unterschied mehr. Deshalb habe ich diese Seereise unter das Motto „Gönnen“ gestellt. Ist schon sehr feudal hier, und die Getränke im Kühlschrank sind im Preis mit drin. Bin mal gespannt, wie ich schlafen werde, mit den Füßen in Fahrtrichtung… *lach…
Heute morgen habe ich die Checkout-Zeit in meinem AirBnB komplett ausgereizt und bin um kurz nach 11 aufgebrochen. Was soll ich sagen? Heute an meinem letzten Tag begrüßte mich Sydney beim morgendlichen Blick aus dem Fenster mal nicht mit Regen. Ich habe zuerst den Corolla getankt und bin dann zum Flugplatz gefahren, um noch ein paar Bilder vom Terminal zu schießen. Freitags gibt es in Sydney nur zwei kommerzielle Flugbewegungen. Air Canada fliegt einmal früh morgens nach Toronto und im Laufe des Nachmittags nach Montreal.
Vom Flugplatz bin ich zur Breton Brewing Company in einem südwestlichen Vorort von Sydney gefahren. Das war meine letzte Hoffnung, noch zwei Flaschen Nova-Scotia-Bier für Andys und meine Sammlung zu kriegen. Ich weiß nicht, ob ich das schon mal erzählt habe (wahrscheinlich schon) aber mein Kumpel Andreas, mittlerweile seit vielen Jahren Wahl-Oberschwabe, und ich sammeln seit über 30 Jahren Bier aus aller Herren Länder. Wenn ich verreise, dann ist Bier zum Verkosten und die Flasche nachher der Sammlung zuzufügen ein Pflichtmitbringsel. Für die aktuelle Reise hatte ich mir vorgenommen, aus jeder der bereisten Provinzen ein Bier mitzubringen. Leider gestaltete sich das in Nova Scotia schwierig, weil die meisten Brauereien auf Dosenbier umgestellt haben. Zum Glück gab es aber zumindest im Werksverkauf von Breton Brewing eine Sorte in Flaschen. Anschließend bin ich nach North Sydney gefahren, wo sich der Fährhafen befindet. Das sind noch mal so ungefähr 20 Minuten Fahrt. Ich hatte zwar recht viel Zeit, aber andererseits hatte Marine Atlantic mir gestern extra nochmal ne Mail geschickt und mich dran erinnert, nur ja RECHTZEITIG am Hafen zu sein um für die Fahrt einzuchecken, da mit viel Betrieb gerechnet würde. Ich habe mir also einen Mittagssnack gekauft und mir ein Plätzchen mit Blick auf den Hafen gesucht.
Beim Einchecken meinte die nette Mitarbeiterin von Marine Atlantic „Oh, you have a Deluxe Cabin.“ Da wusste ich noch nicht, dass es von den Dingern nur sechs Stück an Bord gibt, und ich glaube, die sind noch nicht mal alle belegt. Es war wirklich viel Betrieb im Hafen. Das sieht man im ersten Bild des Tages. Rechts wartet die MV Atlantic Vision darauf, dass wir an Bord fahren. Links liegt die MV Leif Ericson, die hauptsächlich LKWs zwischen North Sydney und Port-aux-Basques befördert. Und während die Atlantic Vision noch beladen wurde und ich schon oben an Deck stand, kam die MV Blue Puttees aus Port-aux-Basques an, mit der ich vor elf Tagen von Neufundland nach Nova Scotia gefahren war.
Inzwischen hatte sich auch das letzte Wölkchen verzogen und wir sind unter strahlend blauem Himmel auf strahlend blauem Wasser aus North Sydney ausgelaufen. Zwar mit ner halben Stunde Verspätung, aber das macht mir nicht viel aus. Ich habe morgen einen entspannten Tag auf Neufundland und muss nicht mehr besonders weit fahren.
Ich habe die ersten anderthalb Stunden der Fahrt auf dem obersten Außendeck verbracht, das Panorama genossen und sogar noch ein paar Sturmtaucher gesehen. Dann fuhr die MV Atlantic Vision in den Nebel rein. Auf dem zweiten Bild des Tages kann man den Nebel schon am Horizont erkennen. Die Atlantic Vision hat sehr großzügige Außendecks und ich hoffe, dass ich die morgen früh auch noch was nutzen kann. Meine Kabine ist übrigens das mittlere der drei Fenster ganz links oben im Bild.
Das Wasser der Cabot-Straße ist nicht immer so ruhig, wie man es auf dem Bild sieht. Diese Gewässer hier können auch ganz schön stürmisch sein. Benannt ist die Gegend nach dem italienischen Seefahrer Giovanni Caboto, der im Auftrag des englischen Königs Heinrich VII. unterwegs war. John Cabot war im Jahr 1497 nach den Wikingern der erste Europäer, der seinen Fuß auf nordamerikanisches Festland setzte. Damals sollen die Fischgründe hier so reich gewesen sein, dass man Eimer über Bord werfen und voller Kabeljau wieder einholen konnte. Ist leider nichts von übrig geblieben. In der Mitte des 20. Jahrhunderts sind die Kabeljaubestände vor Neufundland auf Grund der Überfischung zusammengebrochen und haben sich bis heute nicht erholt.
Nach einem gemütlichen Abendessen im Schiffsrestaurant wollte ich an der Bar noch ein Bier trinken und das Logbuch schreiben. Hier war allerdings ziemlich viel Betrieb und noch dazu gab es Live-Musik und da dachte ich mir so „Bist Du bekloppt? Trink das Bier doch in Deiner schönen Kabine. Da hast Du auch Ruhe zum Logbuch schreiben.“ Und genau das mache ich gerade. Es ist kurz vor zehn und das Nebelhorn der Atlantic Vision tönt noch immer. Bin mal gespannt, ob ich das morgen beim Aufwachen auch noch höre.


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