6. Juli 2023

Es ist halb neun, ich sitze auf dem Deck vor meinem sehr schönen Hotelzimmer. Rechts von mir verschwindet langsam die Sonne im Westen und vor mir hat die Ebbe einen breiten Spülsaum des zur Bay of Fundy gehörenden Western Channel freigelegt. Im Dunst auf der gegenüberliegenden Seite sieht man die Küste des US-Bundesstaates Maine. Ich bin in St. Andrew's by the Sea, dem westlichsten Punkt meiner Tour. Heute Nachmittag, während der Fahrt hier hin, habe ich angesichts der langen Fahrt noch ein bisschen mit mir und meiner Reiseplanung gehadert, ob es wirklich ne gute Idee war, hier her zu kommen. Es war. Ist wunderschön hier.
Heute morgen war ich ein bisschen stolz auf mich. Ich habe es geschafft, sogar vor 8:45h aufzubrechen. Das war auch bitter nötig. Immerhin hatte ich fast 500km zu fahren und ein bisschen Programm sollte es ja auch geben.
Das Wetter war heute überaus gnädig. Ich glaube, das war heute der erste Tag seit dem ersten Tag auf Neufundland, wo kein Tropfen Regen auf mich oder den Corolla gefallen ist. Zwischendurch hat's nur mal ein bisschen genebelt. Aber das konnte ich verschmerzen.
Von PEI ging es zurück über die Confederation Bridge nach New Brunswick. Auch in dieser Provinz war ich vor 32 Jahren mit Oma Käte unterwegs. Wenn ich mich recht entsinne, dann haben wir in Saint John und in Moncton Station gemacht. An beiden Städten bin ich auch heute wieder vorbei gekommen, wobei ich mich aber kaum an etwas erinnern konnte. (Ich bin übrigens auch schon im äußersten Norden von New Brunswick gewesen, bei meinen Reisen in Quebec 2000 und 2017.)
Mein erstes Etappenziel heute waren die Hopewell Rocks. Das ist eine der Top-Touristenattraktionen hier in New Brunswick. Ich muss dazu jetzt mal ein bisschen ausholen (und habe mich vorher ein bisschen schlau gelesen).
Im Wechsel der Gezeiten hebt und senkt sich der Meeresspiegel weltweit, mit einem durchschnittlichen  Unterschied zwischen Ebbe und Flut, der rund einen Meter beträgt. Hier in der Bay of Fundy beträgt der durchschnittliche Unterschied zwischen Ebbe und Flut, der sogenannte Tidenhub, allerdings 13m. Die Ursache dafür ist die geographische Form der Bay of Fundy in Kombination mit dem vor der Küste liegenden Kontinentalschelf. Das führt dazu, dass durch die Gezeiten täglich zwei Mal enorme Wassermengen in die Bay of Fundy hinein- und wieder hinausbefördert werden. Auch wenn man es sich nicht wirklich vorstellen kann: die Größenordnung, über die wir hier reden, beträgt 100 Milliarden Tonnen Meerwasser in einem Zeitraum von 12 Stunden. Das ist ungefähr das doppelte der Wassermenge, die alle Flüsse der Welt innerhalb von 12 Stunden ins Meer befördern. Man muss die tief in den Schlamm eingeschnittenen Bach- und Flussbetten hier einfach gesehen haben. Bei Ebbe jedenfalls. Bei Flut sieht alles ganz normal aus.
Diese gewaltigen Wasserbewegungen bringen natürlich auch einiges an Erosion mit sich. Eines der spektakulärsten Beispiele dafür sind die Hopewell Rocks, die Ihr im ersten Bild des Tages seht. Bei Flut stehen die Felsen komplett im Wasser, während man bei Ebbe drum herum spazieren kann (wenn einem der rote Schlamm nix ausmacht).
An den Hopewell Rocks, die im Hopewell Rocks Provincial Park liegen, war die Hölle los. Menschen über Menschen. Ich habe mich aber nicht beeindrucken lassen und mich tapfer durch die Massen gekämpft. Sind halt auch hier Sommerferien und wo die USA so nah sind, kommen viele Amis und machen hier Urlaub. Das erkennt man gut an den Nummernschildern.
Eine dreiviertel Stunde westlich der Hopewell Rocks liegt der Fundy Nationalpark. Hier habe ich als nächstes Station gemacht. Der freundliche Mitarbeiter von Parks Canada im Visitor Center meinte, ich sollte mir einen Strand aussuchen und ankucken und dann im Abstand von ein paar Stunden nochmal hinfahren um mir den Unterschied beim Wasserstand anzusehen. So viel Zeit hatte ich natürlich nicht, aber ich habe zumindest am Strand von Herring Cove im Fundy Nationalpark der Flut zugesehen, wie sie innerhalb von Minuten dem Ufer zig Zentimeter wegnahm. Kann man leider nicht in einem Bild zeigen. Aber immerhin gibt das zweite Bild des Tages schön die Stimmung in Herring Cove wieder. Der Nebel, der auf den Wassern der Bay of Fundy lag, tat sein übriges.
Vom Fundy Nationalpark nach St. Andrew's sind es nochmal gut 200km, aber zum Glück geht der größte Teil davon über den geschmeidig vierspurigen Highway NB-1. Das kommt mir - auch wenn ich noch nicht so wirklich dran denken will - übermorgen sehr entgegen, denn ich muss morgens um 7 in Saint John am Hafen sein um die Fähre nach Nova Scotia zu kriegen.
Morgen habe ich aber erst mal nen ganzen relaxten Tag hier in St. Andrew's by the Sea. Um 10 Uhr startet meine Whalewatching Tour und ich bin schon sehr gespannt, was die Ausbeute sein wird. Nen heimlichen Wunsch habe ich ja, aber den sage ich Euch erst morgen.


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