2. August 2016

New Orleans... diese Stadt ist crazy... aber so richtig... um ehrlich zu sein: nicht mal New York bietet solche schon fast manisch-depressiven Kontraste wie „The Big Easy“. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll zu erzählen... Am besten vorne...
Nach dem Frühstück im Hotel bin ich zum Jackson Square spaziert, dem Herzen des French Quarter. Von meinem Quartier sind das grade mal gute fünf Minuten zu Fuß. (Also - wenn jemand von Euch ein Quartier in New Orleans braucht, ich habe da nen super Tipp für Euch.) Am Jackson Square habe ich erst mal ein paar Fotos und Selfies gemacht.  Diejenigen von Euch, die mich ein bisschen auf Facebook beobachten, werden schon festgestellt haben, dass ich dieses Jahr richtig eskaliert bin, was die Selfies angeht.
Nachdem mein letzter Besuch in New Orleans ja schon elf Jahre her war, hatte ich beschlossen, einem Tipp des Lonely Planet zu folgen und im French Quarter an einem geführten Stadtrundgang teilzunehmen. Solch touristischen Aktivitäten sind ja sonst nicht meins, aber ich hab gedacht „So als Einführung... mal kucken, was dabei rumkommt.“ Die Tour, die ich mir ausgesucht hatte, wurde von den „Friends of the Cabildo“ durchgeführt. Der 'Cabildo' ist das Gebäude, das die Kathedrale von New Orleans zur linken flankiert und gehört zur Louisiana State Museums-Organisation. Der Teilnehmerbeitrag – zwanzig Dollar fand ich ja eigentlich ein bisschen heftig – dient komplett zur Unterstützung der Museen. Die Führung machen Freiwillige.
Meine 'Stadtbilderklärerin' war Victoria. Im richtigen Leben Apothekerin, gibt sie zweimal im Monat einen Vormittag ihrer Zeit, um Touris durch das French Quarter zu führen und kriegt dafür nix – nicht mal Trinkgeld. Für ein paar Minuten sah es so aus, als wäre ich der einzige Gast und Victoria hatte sich schon gefreut, weil ich mich als Geschichtslehrer zu erkennen gegeben hatte. Aber dann kamen kurz bevor es losgehen sollte noch vier weitere Touris aus Vancouver, Kanada. Es gab zuerst eine kurze Einführung und dann sind wir losgezogen, knapp zwei Stunden durch das French Quarter, mit vielen Infos über die Geschichte der Stadt, das gesellschaftliche Leben, die Architektur, die Küche usw. usw. Am Ende waren es gut angelegte zwanzig Dollar, was sich im weiteren Verlauf des Tages herausstellen sollte. Da komm ich noch zu.
Tja, Nu Awlins... die Touristen wirken fast ein bisschen verloren hier, besonders abseits der Bourbon Street, die zwar einerseits die Vergnügungsmeile hier ist, aber andererseits ein bisschen wie ein geschützter Bereich für die Besucher... und fast schon wie ein Fremdkörper im Zentrum des Vieux Carré, wie das French Quarter auch genannt wird. Da standen wir also mitten im Park des Jackson Square, hörten Victoria zu und unter den Bäumen liegen die Penner. Ich dachte schon, dass es letztes Jahr in New York drastisch war mit Armut und Obdachlosigkeit und Betteln, aber das war alles noch gar nix gegen New Orleans. Hier sitzt fast an jeder Ecke einer und hält ein Schild vor sich. Und dann gibt’s noch die ganzen Straßen“künstler“, die Tarot-Kartenleser auf Camping-Möbeln direkt vor der St.Louis-Basilika, die Rollstuhlfahrer mit Plastikbechern zum Geldsammeln... und dazwischen steht ne Polizistin und unterhält sich angeregt mit ner Gruppe Penner, die Bierdosen in braunen Papiertüten in der Hand halten. Man kann das eigentlich nicht beschreiben. Man muss das sehen. Und über all dem brennt eine erbarmungslose Südstaaten-Sonne, ein leichter Wind weht vom Mississippi herüber (den man übrigens vom Vieux Carré aus durch die Sturmflutmauer und den Deich nicht sehen kann... zumindest nicht vom normalen Straßenniveau aus). Es riecht nach Kanal und nach Pferdemist. Genau – manche Touris lassen sich mit Kutschen, in der Regel von Maultieren gezogen, durch das French Quarter chauffieren. Eine Stadt der brutalen Kontraste, denn gleichzeitig kriegt man ganze Straßenzüge mit schönsten Häusern in kreolischem oder amerikanischem Stil zu sehen, und die Leute sind nett, und das Essen ist gut, und der Bourbon schmeckt...
Ich habe viel von Victoria gelernt, heute. Zum Beispiel, dass man selbst heutzutage noch die Grenze zwischen dem französisch-spanischen New Orleans und dem amerikanischen New Orleans im Stadtbild sehen kann. Die Grenze bildet die Canal Street und auf der südwestlichen Seite, wo sich die Amis niedergelassen haben, stehen die Wolkenkratzer und die Hotelhochhäuser. Im Nordosten, wo die französischstämmige Bevölkerung lebte, da gibt’s keine Hochhäuser... das ist eben das Vieux Carré, mit dem Jackson Square als Herzstück, der von seiner Erbauerin (genau das war eine Frau, die die Planung in Auftrag gegeben und überwacht hat) in Anlehnung an die Place des Vosges in Paris angelegt wurde. Sogar die Namen der Straßen, die vom French Quarter über die Canal Street hinüber in den Central Business District führen, ändern ihren Namen. Aus der Royal Street wird zum Beispiel die St. Charles Avenue und die Bourbon Street wird zur Carondelet Stret.
Außerdem habe ich einiges über die typische Architektur hier gelernt (schmiedeeiserne Balkone und gusseiserne Balkone, Balkone und Galerien, kreolische und amerikanische und karibische Architektur und einiges mehr). Das Bild des Tages ist ein sehr typisches Beispiel für kreolische Architektur.
Was ich auch von Victoria gelernt habe war eine Ein-Satz-Erklärung zum Unterschied zwischen Cajun Cuisine und Creole Cuisine: Cajun-Küche ist die Küche des platten Landes, kreolische Küche ist die Küche der Stadt.
Ich hatte sowieso vor, hier in Kochbücher zu investieren und hatte schon auf meinem Weg zum Jackson Square heute morgen einen Laden gefunden, wo es Küchenzubehör und auch Kochbücher gab. Da ich die aber nicht auf der Stadtführung mitschleppen, hatte ich der Mitarbeiterin des Ladens gesagt, dass ich nach der Stadtführung wiederkommen würde. Das habe ich dann auch getan. Zuerst bin ich aber nach der Stadtführung noch ein bisschen durch die Souvenirshops am Jackson Square und dem ehemaligen French Market gezogen, und ich habe im Café du Monde, einer alten New Orleanser Traditionseinrichtung Mittagspause gemacht, mit Café au lait und Beignets (in Fett gebackenem Hefeteig – schmeckt ein bisschen wie Berliner oder Krapfen und wird komplett unter Puderzucker begraben serviert).
Als ich also wieder in dem Küchenladen stand, fragte mich die Mitarbeiterin erst mal, wie meine Stadtführung war. Und dann wollte sie wissen, ob ich den Unterschied zwischen Cajun und Creole Cooking kenne. Und als ich sagte, dass ich grade gelernt hätte „Cajun is country cooking and Creole is city cooking“, da war sie ganz von den Socken und meinte, sie hätte noch nie von nem Touristen so ne gute Erklärung gehört und dass ich eine wirklich sehr gute Stadtführerin gehabt hätte. Ich bin also mit zwei Kochbüchern aus dem Laden gegangen und demnächst wird bei mir verstärkt Cajun und Creole gekocht, denn ich habe mich ausdrücklich mit dem Blick auf Alltagsküche beraten lassen, also Sachen, die ich mir auch unter der Woche ohne großen Aufwand machen kann. Wobei auch Besuch damit rechnen sollte, dass es bei mir demnächst verstärkt Südstaatenküche geben wird.
Ich habe dann meine Einkäufe schnell ins Hotel gebracht, meine Wasserflasche aufgefüllt und danach ging's zur Canal Street und ich bin Straßenbahn gefahren... *lach... dem einen oder anderen sagt ja vielleicht „A Streetcar Named Desire“ (Endstation Sehnsucht) von Tennessee Williams was... Die Straßenbahnen von New Orleans waren beinahe abgeschafft worden, so wie das Vieux Carré beinahe zugunsten von mehr Wolkenkratzern platt gemacht worden wäre. Aber wie so vieles in dieser Stadt haben sie dann doch alle überlebt. Ich bin auf der St. Charles Avenue-Linie gefahren, die von der Canal Street nach Westen führt, über weite Strecken eine mit großen Steineichen gesäumte Allee entlang, an der schöne Häuser im Antebellum-Stil, mit fetten Säulen davor, stehen... eine der besten Wohngegenden von New Orleans. Außerdem liegen hier die Tulane University und die Loyola University, beides erste Adressen hier in Louisiana.
Okay... das ist jetzt grade der längste Eintrag in der zehnjährigen Geschichte der Reiselogbücher geworden. Ich hoffe es hat auch jemand bis hier hin durchgehalten :-) Morgen gibt’s nochmal ein bisschen Programm hier und dann geht’s zum Flughafen...

Inhaltsverzeichnis nächster Tag

Inhaltsverzeichnis nächster Tag