29. Juni 2023

Heute habe ich einen Traum wahr gemacht. Ich war in L'Anse aux Meadows. Hier befinden sich die Reste einer Wikingersiedlung vom Beginn des 11. Jahrhunderts. Das ist der erste nachgewiesene Kontakt von Europäern mit Nordamerika, fast 500 Jahre bevor sich Kolumbus auf dem Weg nach Indien komplett verfranst hat. Die Wikinger hatten zuvor schon, von Skandinavien kommend, Island und Grönland besiedelt. Auf der Suche nach Rohstoffen, vor allem Holz, stießen sie unter dem Kommando von Leif Eriksson schließlich auf Labrador und Neufundland. Hier an der Nordspitze des „Zeigefingers“ legte Leif mit seinen Mannen eine Siedlung an. Ganze zehn Jahre wohnten hier um die hundert Menschen. Dann wurde die Siedlung aus noch nicht genau bekannter Ursache aufgegeben. Vielleicht lohnte es sich wirtschaftlich einfach nicht mehr, den Stützpunkt zu betreiben, oder es gab Konflikte mit den hier lebenden Indianern. Der Abzug muss aber ordentlich und nicht fluchtartig erfolgt sein, denn man hat nur sehr wenige Gebrauchsgegenstände bei den Ausgrabungen hier gefunden, und keinerlei Waffen. Die Wikinger haben also alles ordentlich zusammen gepackt bevor sie abgezogen sind. Dass L’Anse aux Meadows nur ein Stützpunkt war, von dem aus die Wikinger weitere Fahrten in Richtung Süden unternahmen, konnte man dadurch nachweisen, dass man Früchte und Holz des Butternussbaums bei den Ausgrabungen gefunden hat. Die Butternuss wächst aber nur bis New Brunswick und nicht mehr in Neufundland.
Auf jeden Fall also sehr historischer Boden auf dem ich hier unterwegs war. Allerdings nicht auf meinen eigene Spuren. Bei meiner ersten Reise in die Gegend hier im Sommer 1991 sind wir nicht bis L’Anse aux Meadows gefahren. Warum weiß ich nicht mehr genau, ich vermute, weil wir nicht so viel Zeit hatten und man, wie ich gestern fest gestellt habe, schon ein bisschen braucht, um hierher zu kommen. Jedenfalls hatte ich 32 Jahre lang im Hinterkopf, dass ich, wenn ich nochmal nach Neufundland komme, dann auf jeden Fall nach L’Anse aux Meadows fahren wollte. Was soll ich sagen? Heute habe ich es wahr gemacht und es hat sich komplett gelohnt.
Der Tag heute morgen begann sehr, sehr gemütlich, denn bei einem Blick aus dem Fenster gab es vor allem Regen, tiefe Wolken und Nebel zu sehen. Ich habe also nach dem Frühstück - ich bin ja auch hier in einem Bed&Breakfast untergekommen – direkt eine längere Siesta angeschlossen. Überhaupt habe ich das diesjährige Sommerabenteuer entspannt geplant, mit Zeit zum Pausieren, Verweilen und auch mal schlechtes Wetter aussitzen.
Gegen 14 Uhr bin ich dann aber doch aufgebrochen und zur L’Anse aux Meadows National Historic Site gefahren. Der Nebel und die Wolken waren zwar immer noch da und ein bisschen gefiselt hat es auch noch, aber ich habe mir gedacht, dass dieses Wetter Leif und seine Leute auch nicht verschont hat und ich zumindest schon mal einen Besuch an der Stelle machen kann, wo sie gewohnt haben.
Im Visitor Center gibt es einen schönen Film, der die Bedeutung des Ortes erklärt und was man über die Fahrten der Wikinger nach Neufundland und über die Siedlung weiß. Auch die wichtigsten Ausgrabungsfunde sind hier ausgestellt, inklusive der Butternuss und metallenen Gewandnadeln, die typisch für Wikingerkleidung sind.
Dann ging’s zur Stelle selber. Echt schön angelegt. Man läuft über Stege und rund rum alles Tundra und kurzes Gestrüpps. Der leichte Nebel hat die Atmosphäre des Ortes sogar noch verstärkt. Von den originalen Grassodenhäusern, die die Wikinger schon auf Grönland und Island nutzten und dann auch hier in Amerika bauten sind heute nur noch niedrige, grasbewachsenen Erdwälle übrig. Man erkennt das sehr schön im ersten Bild des Tages. Die Überreste gehören zum größten Wohnhaus, das hier stand. Nur die große Halle war noch größer. Einer der Kommentare, der mich zu meinem Social Media-Video von dieser Stelle erreichte, war „Auf dem Video sehe ich nur Gras.“ Das kann ich komplett nachvollziehen… *lach… stimmt ja auch irgendwo. Aber für mich sind diese grasbewachsenen Erdwälle auch Zeugnisse aus einer längst vergangenen Zeit und ich kann – zum Glück, und wenn ich es nicht könnte, dann hätte ich bestimmt niemals Geschichte studiert – diese Überreste vor meinem inneren Auge wieder aufbauen und mit Leben füllen. Ich war also echt richtig beeindruckt. Der weite Weg war nicht umsonst gewesen.
Neben den originalen Überresten hat man, damit man sich die Anlage in der damaligen Zeit besser vorstellen kann, Gebäude rekonstruiert, wie sie damals ähnlich hier standen. Das seht Ihr im zweiten Bild des Tages. Das große Haus im Hinter- und zwei kleinere im Vordergrund. Natürlich gab es, wie im englischsprachigen Raum üblich, hier auch kostümierte Mitarbeiter, die den Besuchern das Leben in der Wikingersiedlung erklärten. Besonders groß ist das alles nicht, und so konnte ich mir richtig Ruhe antun bei der Erkundung der Anlage. Einzig der Wind und der leichte Sprühregen haben das Erlebnis ein bisschen getrübt. Immerhin war es nicht kalt, auch wenn es auf den Bildern so aussieht.
Nach der ausführlichen Besichtigung von L’Anse aux Meadows habe ich im Quartier noch eine kurze Pause gemacht und dann gab es in Saint Lunaire-Griquet ein frühes Abendessen. Newfoundland Fishcakes… das ist aber keine gewöhnliche Fischfriakdelle, sondern hier macht man die mit Stockfisch. War auf jeden Fall sehr lecker, und würde ich auch nachkochen… müsste nur kucken, wo man bei uns Stockfisch herkriegt.
Während ich das heutige Logbuch schreibe, ist der größte Teil des Himmels draußen blau geworden. Wenn das so bleibt und morgen früh die Sonne scheint, dann fahre ich morgen früh nochmal nach L’Anse aux Meadows um mir das alles ein zweites Mal aber dann im Sonnenschein anzukucken. Ich habe morgen ja noch nen ganzen Tag hier Zeit. Außerdem will ich morgen noch nach St.Anthony fahren, der größten Stadt an der Nordspitze Neufundlands… naja, was sich hier so Stadt nennt. St. Anthony hat knapp 2200 Einwohner.


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